Heute kaum vorstellbar, in der Frühen Neuzeit aber selbstverständlich: Klöster besassen grosse Herrschaftsgebiete. Äbte wie Ulrich Meyer aus dem Kloster Wettingen traten als Eigentümer und Richter auf. Ihren Besitz liessen sie kartografieren.
von Valerija Vlasic
Ungefähres Herrschaftsgebiet des Klosters Wettingen im Limmattal anhand der kartografischen Quelle «Geometrischer Grund-Riss aller Marken der Gerichts-Herrlikeit dess Gottshauses Wettingen […]». Visualisierung erstellt von Valerija Vlasic mittels ArcGIS.
Armut, Arbeit, Abgewandtheit – diese Ideale bestimmten das Selbstverständnis des Zisterzienserordens. Dennoch entwickelten sich viele Klöster in der Frühen Neuzeit zu bedeutenden wirtschaftlichen und territorialen Institutionen. Was zunächst widersprüchlich oder überraschend wirkt, folgt einer Logik: Die gezielte Akkumulation von Macht, Grundbesitz und Einnahmen diente der Absicherung des geistlichen Lebens. So verfügte auch das Kloster Wettingen über ausgedehnte Besitzungen, Herrschaftsrechte und Einkünfte im Limmattal - dies zeigt auch eine Karte aus dem 17. Jahrhundert.
Fromme Logik der Besitzmehrung
Die Zisterzienser beriefen sich ursprünglich auf die Benediktsregel und strebten nach Armut, Einfachheit und Weltabgewandtheit. Im 11. und 12. Jahrhundert galt der Verzicht auf Reichtum als zentrales Ideal. Doch im Laufe der Zeit veränderte sich die Praxis. Ursprüngliche Bestimmungen wie das Verbot von Schenkungen, Eigentum und regelmässigen Einkünften wurden umgedeutet. Mönche sollten nicht mehr in völliger Armut leben, sondern lediglich auf persönlichen Besitz verzichten. Für ihre Grundversorgung sollte die Klostergemeinschaft aufkommen. Diese veränderte Auslegung ebnete den Weg zur Besitzkonsolidierung: Auch Zisterzienserklöster begannen, gezielt Land und Rechte zu sammeln. Sie nutzten ihre Güter, um wirtschaftliche Grundlagen zu sichern und regelmässige Einkünfte zu erwirtschaften. Wichtige Einnahmequelle waren die Abgaben der abhängigen Dörfer in Form von Naturalien oder Geld.
Wettinger Äbte regieren im Limmattal
Mit zunehmendem Besitz wuchs auch der Einfluss der Klöster. Sie entwickelten sich zu wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Zentren ihrer Region. Dieser Aufstieg brachte den Klöstern Ansehen und Macht, führte aber auch zu neuen Spannungen mit benachbarten weltlichen und geistlichen Herrschaften. Auch das Zisterzienserkloster Wettingen baute sich im Laufe der Zeit ein eigenes Herrschaftsgebiet auf. Zunächst besass das Kloster verstreuten Grundbesitz in Zürich, Uri und Zug. Noch heute erinnern die Wettingerhäuser am Limmatquai in der Stadt Zürich an diesen Besitz. Mit der Zeit konzentrierten sich die Äbte jedoch darauf, in der näheren Umgebung, vor allem im Limmattal, ein geschlossenes Territorium zu schaffen. Durch Kauf, Schenkung oder Tausch erwarb das Kloster Wettingen systematisch Land und schloss bestehende Lücken.
Der Kleinstaat Wettingen
Neben kirchlichen Rechten, etwa der Mitbestimmung bei der Ernennung von Pfarrern, den Kollaturrechten, verfügte das Kloster auch über weltliche Herrschaftsrechte. Die sogenannte «Gerichtsherrlichkeit» bezeichnete jene Gebiete, in denen der Abt als Gerichtsherr auftrat und Recht sprach. Damit übernahm der Abt nicht nur geistliche Aufgaben, sondern auch Verwaltungs- und Repräsentationspflichten. Um diese umfangreichen Aufgaben zu bewältigen, baute das Kloster einen eigenen Beamtenapparat auf. Wettingen übte die niedere Gerichtsbarkeit aus, die juristische Fragen rund um Besitz, Verträge und kleinere Delikte umfasste – vergleichbar mit dem heutigen Zivilrecht. Die hohe Gerichtsbarkeit oder Blutgerichtsbarkeit blieb hingegen übergeordneten Instanzen vorbehalten, den Schirmherren wie dem Landvogt oder der Eidgenossenschaft. Sie urteilten über schwere Verbrechen wie Mord oder Raub. So entstand im Limmattal ein Kleinstaat, der dem Kloster Wettingen unterstand. Die dort lebenden Menschen waren dem Kloster zu Treue, Diensten und Abgaben verpflichtet. Über die genaue Zahl der Untertanen gibt es zwar keine verlässlichen Angaben. Doch in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht konnte das Kloster Wettingen durchaus mit dem Adel der Region mithalten – und übertraf ihn in manchen Bereichen sogar.
Kartografie als Machtinstrument
Eine anschauliche Darstellung des klösterlichen Herrschaftsgebiets im Limmattal bietet eine Karte aus dem späten 17. Jahrhundert. Auf ihr sind auch 57 Grenzsteine vermerkt, die das Territorium wie eine Wegmarkierung umschreiben. Im erklärenden Text auf der Karte heisst es: «Von dar bis an die Brugg zu Baden gehört die ganze Limmat sambt ihren Auwen Wettingen zu/ laut Kauffbrieffs von anno 1259.» Entstanden ist sie 1693 in der Zeit von Abt Ulrich Meyer (Abt 1686–1694). Angefertigt wurde sie in der klostereigenen Druckerei unter der Leitung des berühmten Schweizer Kartografen Hans Konrad Gyger (1599–1674) und unter Mitwirkung Wettinger Mönche. Solche Karten entstanden häufig im Zusammenhang mit Grenzstreitigkeiten. Vermutlich auch hier, da das Kloster Wettingen wiederholt mit der benachbarten Grafschaft Baden und dem Kloster Einsiedeln um Schifffahrts- und Fährrechte stritt. Eine der Reproduktionen dieser Karte hing im Kloster Wettingen gar an der Wand. Dies zeigt, dass Karten nicht nur praktische Verwaltungsinstrumente waren, sondern auch der Repräsentation und Selbstdarstellung der Äbte dienten. Die Karte belegt damit eindrücklich die regionale Bedeutung und das Selbstbewusstsein des Klosters Wettingen in dieser Zeit. Mit dem Einmarsch französischer Truppen und der Ausrufung der Helvetischen Republik im Jahr 1798 endete die weltliche Herrschaft des Klosters, die kirchlichen Rechte blieben jedoch erhalten.
Weiterlesen:
Anton, Kottmann; Markus, Hämmerle: Die Zisterzienserabtei Wettingen. Geschichte des Klosters Wettingen und der Abtei Wettingen-Mehrerau. Baden 1996. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums «Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Die Autorin Valerija Vlasic studiert Geschichte in Zürich. Ihre Schwerpunkte sind die Geschichte der Frühen Neuzeit, die osteuropäische Geschichte, die Kulturgeschichte sowie Digital History. Die Benediktsregel umfasst zahlreiche Kapitel zum Zusammenleben der Mönchsgemeinschaft. Dazu gehören auch Abschnitte zu den Speisen. Ein Küchenbesuch bei Abt Ulrich Meyer. von Julian Bretschger Im Jahr 1687 liess der damalige Abt des Klosters Ulrich Meyer (Abt von Wettingen 1686–1694) eine Abschrift einer Regel zu Pergament bringen. Es war eine Benediktsregel – also das zentrale Regelwerk für das Zusammenleben der Mönche, dem sich auch die Zisterzienser in Wettingen verschrieben hatten. Die Benediktsregel enthält neben ganz vielen anderen Vorschriften auch Regeln zum Essen und Trinken der Mönche. In der Klosterküche Beginnen wir ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie seien im Kloster Wettingen des 17. Jahrhunderts für die Verpflegung zuständig. Neben der Benediktsregel gibt es natürlich noch andere Verhaltensregeln – wir orientieren uns heute aber an der «Regula Benedicti», wie die Regel auf Latein heisst. Ausserdem sind wir uns bewusst, dass die Zisterzienser im 17. Jahrhundert die Benediktsregel teilweise nicht ganz strikt befolgten. Wir reisen nun in die Küche des Klosters Wettingen im Jahr 1690 und sollen die wichtigsten Regeln zum Essen und Trinken der Mönche kennenlernen, um diese für einige Zeit zu verpflegen. An einem sonnigen Tag stehen wir vor dem Kloster. Wir sind mit Abt Ulrich Meyer verabredet und melden uns beim Pförtner. Dieser führt uns in das kühle Klosterinnere, wo wir uns setzen. Nach einer kurzen Wartezeit begrüsst uns der Abt und führt uns durch die Gänge des Klosters zur Küche. Unter dem Arm trägt er seine persönliche Benediktsregel, in der auf Pergament alle wichtigen Vorschriften für das Alltagsleben der Mönche festgehalten sind. In der Küche angekommen, öffnet der Abt sein Buch und blättert bis zu einer Seite, auf der bei Nummer 39 die Überschrift «De mensura ciborum» in schwarzer Schrift zu erkennen ist. Dies bedeutet «Über das Mass der Speisen». Ein Pfund Brot pro Tag Nun beginnt der Abt zu erklären. Aus Rücksicht auf die Schwäche der Brüder seien für die tägliche Hauptmahlzeit für jeden Tisch zwei gekochte Speisen genug. Wer von einer dieser Speisen nicht essen könne, solle sich mit der anderen sättigen. Zu diesen zwei gekochten Speisen könne frisches Gemüse oder Obst hinzugefügt werden. Und der Abt fährt fort: «Ein gut gewogenes Pfund Brot soll pro Tag genügen, ob es nun nur eine Mahlzeit wie an Fasttagen oder ein Mittag- und ein Abendessen gibt. Wenn die Brüder auch ein Abendessen einnehmen, soll der Cellerar ein Drittel von diesem Pfund aufbewahren, um es ihnen am Abend zu geben.» Der Cellerar kümmerte sich um die wirtschaftlichen Belange des Klosters. Keine vierfüssigen Tiere – und keine Unmässigkeit Abt Ulrich kommt anschliessend auf eine Regel zu sprechen, die ihn als Abt selbst betrifft: Sei die Arbeit anstrengender gewesen, so könne der Abt entscheiden, ob er etwas mehr geben wolle, falls es nützlich sei. Darauf liest er noch die Regel zum Fleischkonsum vor: «Auf den Verzehr von Fleisch vierfüssiger Tiere aber sollen alle gänzlich verzichten, ausgenommen die ganz schwachen Kranken.» Schliesslich kommt Abt Ulrich auf die Unmässigkeit zu sprechen: «Doch gilt es vor allem, Unmässigkeit hintanzuhalten, und nie darf sich beim Mönch Übersättigung einstellen, weil sich für einen Christen nichts weniger ziemt als Unmässigkeit.» Diese Mässigung liege denn auch der nächsten Regel zugrunde, sagt er weiter: Knaben in jüngerem Alter sollten weniger als Erwachsene erhalten, wobei man überall auf Mässigung achten solle. Eine Hemina Wein pro Tag Abt Ulrich blättert eine Seite weiter in seiner Benediktsregel bis zum Kapitel 40 «De mensura potus», «Über das Mass des Trinkens». Er erklärt zunächst, die Benediktsregel sei ziemlich zurückhaltend bei der Bestimmung der exakten Mengen. Allerdings schreibe sie in Anbetracht der Unzulänglichkeit der Schwachen vor, dass für einen jeden eine Hemina Wein pro Tag genug sei. Eine Hemina? Dabei handelt es sich um etwa 0.27 Liter. Der Abt holt ein entsprechend grosses Gefäss hervor und drückt es uns in die Hand. Es stehe aber weiter in der Regel, betont er, wer dank Gott imstande sei, Enthaltsamkeit zu ertragen, der solle wissen, dass er besonders entlöhnt werde. Ob mehr erforderlich sei, etwa wegen schlechter Ortsverhältnisse, Arbeit oder Hitze im Sommer, entscheide jeweils der Obere (wohl generell Mönche mit höheren Ämtern). Dieser achte aber bei allen darauf, dass keine Übersättigung oder Trunkenheit auftrete. Die Mönche sollten nicht zu viel trinken. Sie sollten aber auch das Murren unterlassen, sollte einmal weniger als eine Hemina Wein aufzutreiben sein, sagt Abt Ulrich zum Schluss betont. Meyer klappt sein Buch zu und fragt: «Haben Sie alles verstanden?» «Ja», sagen wir. Er nickt und fordert uns dazu auf, mit den Vorbereitungen für die Verpflegung zu beginnen. «Die Brüder arbeiten momentan hart im Garten.» Nach der Mittagshore müsse das Essen bereit sein. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums «Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Der Autor, Julian Bretschger, studiert im Bachelor Geschichte und Soziologie. Schwerpunkte seines Studiums liegen in den Bereichen Geschlechter- und Schweizer Geschichte sowie Geschichte der Antike.
In Aarau lagert ein Notizbuch mit Einträgen aus der Pariser Studienzeit des Wettinger Abtes Peter Schmid. Wer das Büchlein liest, sieht die frühen Eindrücke, Ambitionen und Fähigkeiten des späteren Klostervorstehers. von Nicolas Hänsli Als am 8. Mai 2025 über der sixtinischen Kapelle in Rom weisser Rauch aufstieg, brandete Jubel durch die versammelte Menge auf dem Petersplatz: «Habemus Papam» –«wir haben einen Papst». Ein neuer Papst war gewählt! Millionen Menschen weltweit fragten sich: Was ist von Kardinal Robert F. Prevost zu halten, der sich gerade den Papstnamen Leo XIV. gegeben hatte? Was haben Papst und Abt gemein? Hektisch wurden die Hintergründe seiner Biografie recherchiert: Einem Vorort von Chicago entstammend, studierte Prevost zunächst Mathematik und Philosophie, bevor er dem Augustinerorden beitrat und nach verschiedenen kirchlichen Ämtern in Peru und Rom 2023 von seinem Vorgänger Franziskus zum Kardinal ernannt worden war. Doch was hat dies alles mit dem Wettinger Abt Peter Schmid zu tun? Tatsächlich ähneln die Aufgaben des Papsts denjenigen eines Abts. Wie der Papst die gesamte katholische Kirche als Institution führt und die Gläubigen nach aussen repräsentiert, steht der Abt seinem Kloster und der dortigen Mönchsgemeinschaft, dem Konvent, vor. Auch haben beide, Papst Leo und Abt Peter Schmid, vor ihrem Amtsantritt ein interessantes Leben geführt. Dank eines in der Kantonsbibliothek Aarau lagernden Büchleins mit der Signatur MsWett 130 ist es möglich, diese Vorgeschichte des späteren Abtes zu untersuchen. Es ist ein Notizbuch mit Einträgen aus Peter Schmids Studienzeit in Paris zwischen 1579 und 1588. Aus dem Zugerland nach Wettingen Schmid entstammte einer bedeutenden Baarer Familie. Seine Verwandtschaft war angesehen. Es finden sich darin Landammänner, Gesandte, Vögte und Hauptleute, meist in den Diensten des Standes Zug. Andere Verwandte sollten hingegen eine kirchliche Laufbahn einschlagen, so auch der junge Peter Schmid. Doch mit der Zürcher Reformation war das nahegelegene Zisterzienserkloster Kappel am Albis, eine traditionelle Destination für angehende Zuger Kirchenmänner, aufgelöst worden. So wurde Peter nach Wettingen geschickt. Der spätere Abt begann als Klosterschüler. Mithilfe der Kontakte seines Vaters konnte Schmid darauf in Paris studieren, unter anderem an der renommierten Sorbonne. Während der acht Jahre seines Studiums führte er ein Büchlein mit sich, in das er seine Notizen eintrug. Ein wenig Paris in Aarau Als nach der Auflösung des Klosters Wettingen 1841 dessen Bibliothek in die Aargauer Kantonsbibliothek verfrachtet wurde, fand auch Schmids Notizbuch seinen Weg nach Aarau. Das handliche, ledergebundene Büchlein umfasst fast hundert Seiten, meist in lateinischer Sprache. Nur ein Teil der Texte hat Schmid selbst geschrieben. Im Nachhinein füllten andere Mönche leergelassene Seiten mit ihren Notizen aus. Doch was notierte sich Schmid über sein Leben in der damals einwohnerreichsten Stadt Westeuropas? Finden sich Hinweise auf seine Eindrücke, auf mögliche Ambitionen oder bereits sichtbare Fähigkeiten? Akribische Notizen im Büchlein Wer auf Details aus Schmids Privatleben hofft, wird enttäuscht. Das Schriftstück ist mehr Notiz- als Tagebuch. Dennoch wird beim Durchblättern des Büchleins deutlich, mit welchem Eifer und welcher Systematik Schmid seine Eindrücke aufzeichnete. Gleich seitenweise stellte er Sammlungen an Zitaten, Gebeten und Versen zusammen. Anregungen für diese Sammlungen erhielt er zu verschiedenen Gelegenheiten: Im Unterricht an der Sorbonne, bei Streifzügen durch die Stadt, vielleicht auch im persönlichen Gespräch mit anderen Studenten. Auch die Architektur hatte es ihm angetan: Inschriften wie Ausmasse mehrerer Kirchen und gar der Text eines Grabsteins finden sich im Notizbuch. Ein bestimmtes Kreuz in Paris hatte ihn wohl so beeindruckt, dass er im Büchlein davon eine Skizze anfertigte. Ebenso gewissenhaft legte sich der junge Schmid Rechenschaft über seine Finanzen ab. Ab Studienantritt 1579 notierte er seine Ausgaben – zunächst noch auf Deutsch, ab 1585 jedoch stets auf Lateinisch. Ein neuer Kurs im Kloster Als Abt stieg Peter Schmid schliesslich zu den bedeutendsten Klostervorstehern der gesamten Wettinger Klostergeschichte auf. Fast vierzig Jahre lang regierte er machtbewusst und gestaltungsfreudig. Nachdem sein kunstsinniger, aber glückloser Vorgänger Christoph Silberysen (1542–1608) das Kloster und dessen Finanzen in desolatem Zustand hinterlassen hatte, übernahm Schmid eine angeschlagene Institution. Mit der ihm eigenen Bestimmtheit führte Abt Peter das Kloster wieder auf Kurs: Schmid festigte die Mönchsgemeinschaft im Innern und stärkte die politische wie rechtliche Stellung des Klosters nach aussen. Er stabilisierte die angespannte Finanzlage, setzte unter den Mönchen wieder strenge Ordensdisziplin durch und veränderte durch seine zahlreichen Bauprojekte das Antlitz des Klosters nachhaltig. Schmids Abtswappen – jeweils klar erkennbar am Hammer – ziert bis heute manche Räume und Gebäude des Klosters Wettingen. Die frühen Ambitionen des späteren Abtes Im Rückblick scheinen die grossen Linien seiner Amtszeit im jungen Schmid bereits angelegt gewesen zu sein. Diesen Eindruck festigt sich bei der Untersuchung von Schmids Einträgen im Notizbuch: Seine systematisch erstellten Sammlungen an Versen, Zitaten und Gebeten zeigen Schmids Ambitionen. Sein Interesse an Architektur weist auf die spätere Baufreudigkeit des Abtes hin. Seine gewissenhafte Buchführung zeigt seine administrativen Fähigkeiten. Wer das Notizbuch liest, sieht, welche Eindrücke, Interessen, Ambitionen und Fähigkeiten jener junge Mann aus Paris zurück nach Wettingen brachte, der das Kloster wie kaum ein zweiter prägen sollte. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums «Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Der Autor, Nicolas Hänsli, studiert im Master Geschichte und Volkswirtschaftslehre in Zürich, wobei er auch Austauschsemester an den Universitäten Genf und Nottingham (UK) absolviert hat. Schwerpunkte seines Studiums sind die Wirtschafts- und die Schweizer Geschichte. Augustin Keller war erst Klostergegner. Und dann Direktor des Lehrerseminars im ehemaligen Kloster Wettingen. Nach seinem Tod wollte sein Sohn ihn als Held positionieren. Eine neu wiederentdeckte Glasscheibe erzählt, wie Keller verehrt, politisch aufgeladen und schliesslich vergessen wurde. von Noemi Heusler «Augustin Keller! Wer im Schweizerland kennt nicht seinen Namen, den die Einen mit hoher Verehrung nennen, während er den Anderen zur Stunde noch eine Erinnerung ist an böse vergangene Zeiten!» So lautete die Einleitung des Artikels zum Ruhestand von Augustin Keller in den Aargauer Nachrichten am 5. Dezember 1881. Er liest sich wie ein Nachruf. Augustin Keller blieb nach seinem Tod 1883 eine polarisierende Figur. Während ihn radikal-liberale Kreise als Vorkämpfer gegen die Jesuiten ehrten, wurde er von katholisch-konservativer Seite als fanatischer Klostergegner verurteilt. Schliesslich war er 1841 massgeblich an der Aargauer Klosteraufhebung, die auch das Kloster Wettingen traf, beteiligt. Die Erinnerung an Augustin Keller Anfang des 20. Jahrhunderts schwankte zwischen Verherrlichung und scharfer Kritik. Augustin bezwingt das Böse Der Kampf um das Andenken Augustin Kellers wurde auf vielen Ebenen ausgetragen – in öffentlichen Reden, in der Presse, durch Denkmäler und in biografischen Schriften. Auch im Privaten gab es Versuche, Kellers Vermächtnis lebendig zu halten. So etwa in Form eines Erinnerungsprojekts, das sein Sohn Arnold Keller initiierte: Eine Glasscheibe sollte den Vater ehren. Die Scheibe wurde 1907 entworfen und 1910 vom Zürcher Glasmeister Jakob Georg Röttinger ausgeführt. Arnold Keller lobte den Künstler und hob die positive Resonanz auf die Scheibe hervor. Im Zentrum zeigt das Bild Augustin Keller als heiligen Georg, der mit Lanze einen Drachen durchbohrt. Der Drache war ein gängiges Symbol für das Böse und die Jesuiten. Augustin Keller mochte diese Symbolik. Er verwendete sie gern in öffentlichen Reden, aber auch privaten Briefen. Auch Sohn Arnold Keller gefiel das Motiv. Er schrieb dazu: «Die Wahrheit besiegt die Lüge.» Keller ist als radikal-liberaler, quasi-heiliger Held dargestellt. Die stark religiöse Symbolik wäre nur durch den in einer ersten Version noch vorhandenen Heiligenschein noch deutlicher geworden. Rechts neben Keller ist das Kloster Wettingen zu sehen, wo er von 1841 bis 1856 als Direktor des kantonalen Lehrerseminars tätig war und mit seiner Familie in den Räumen der Abtei lebte. Umgeben ist Keller von Wappen, die für die bedeutenden Positionen in Aarau, Aargau und der schweizerischen Eidgenossenschaft stehen und dem Familienwappen. Der Sonderbundskrieg ist in der oberen linken und rechten Ecke der Glasscheibe dargestellt. Der Vater, der Held, der Heilige Arnold Keller wollten seinen Vater mit der Scheibe als Familienoberhaupt ehren. Wettingen, der Wohnort der Familie, steht im Zentrum der Scheibe. Gleichzeitig ist Keller deutlich auch als politischer Held zu erkennen. Die Anspielungen auf politische Ämter, den Sonderbundskrieg und den Kampf gegen reaktionäre Kräfte dürften Kellers Rolle als Held der Radikal-Liberalen verdeutlicht haben. Die religiöse Bedeutungsebene ist überraschend. Durch Kellers Darstellung als heiliger Georg wird der Katholik Augustin Keller auch als religiöser Held abgebildet. Die meisten Darstellungen auf der Glasscheibe stammen aus bereits existierenden Vorlagen. Die Szenen des Sonderbundskriegs sind adaptierte Holzschnitte von Jakob Ziegler, die den Sieg der liberalen Eidgenossen über den Sonderbund verherrlichen. Arnold Keller übernahm sie aus einem patriotischen Bildband von 1847. Diese Übernahmen mögen praktischen oder ästhetischen Gründen geschuldet sein. Im Fall der Holzschnitte von Ziegler kann man sie als bewusste Anleihen verstehen, als Zitate aus einem kollektiven Bildgedächtnis, das Kellers Unterstützer wiedererkennen konnten. In dieser Wiedererkennbarkeit liegt die Kraft der Helden: Augustin Keller erscheint nicht als realistische Figur, sondern als idealisiertes Sinnbild, als religiöser Kämpfer, politischer Held, familiäres Vorbild. Die heldenhafte Darstellung überlagert die historische Persönlichkeit. Eine Held ohne Anerkennung Trotz der Inszenierung als Held ist Augustin Keller vielerorts in Vergessenheit geraten. Selbst in Wettingen, wo er lebte, und das Lehrerseminar aufbaute, erinnert heute im öffentlichen Raum nichts mehr an ihn. Was bleibt, ist die Scheibe, die heute in der Sammlung von Museum Aargau aufbewahrt wird. Arnold Keller war es wichtig, das Andenken seines Vaters beständig zu gestalten und es öffentlich zu verbreiten. Die Wahl des Trägermaterials unterstreicht seinen Anspruch auf Dauer, wie er in seiner Dokumentation über die Erstellung der Glasscheibe festhält: «Warum eine Glasscheibe? […] Es (Glasgemälde) funkelt auch nach ungezählten Jahrhunderten noch in der statten Glut seiner Entstehungszeit […].» Er bestand auch auf eine Ausstellung der Scheibe: «Die Augustin Kellerscheibe soll nach dem Tode meiner beiden Kinder dem histor. Museum des Kantons Aargau in Aarau unter der Bedingung geschenkt werden, dass sie bleibend an passender Stelle dort ausgestellt wird. […].» Nach 1960 erstmals wieder aufgetaucht Im Jahr 1960 wurde die Scheibe in der Kantonsbibliothek Aargau ausgestellt. Seither galt sie bei Forschenden als verschollen. Die Recherchen für diesen Beitrag zeigen, dass sie nach der Ausstellung 1960 in der Kantonsbibliothek Aargau lagerte, bis sie 1992 schliesslich dem Museum Aargau zurückgegeben wurde und im Sammlungszentrum des Museums endete. Die von Arnold Keller initiierte heldenhafte Darstellung seines Vaters hat also die Zeit überdauert. Doch anstatt an einem Fenster zu funkeln, wie es für die Darstellung eines Helden angemessen wäre, liegt sie unbemerkt in einem dunklen Lager. Ein Held entsteht im Licht der Öffentlichkeit. Die lange verschollene Glasscheibe von Augustin Keller ist ein Symbol für die Erinnerung an ihn, die auch in Wettingen weitestgehend verblasst ist. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums «Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Autorin Noemi Heusler studiert im zweiten Semester Wirtschaftsgeschichte im Masterstudiengang. Sie hat bereits einen Master in Business Innovation der Universität St. Gallen und arbeitet neben dem Studium als Projektleiterin bei einer Bank. Die Ausbildung der Lehrpersonen in den Aargauer Seminaren erfolgte von Beginn weg nach Geschlechtern getrennt. Angehende männliche Lehrpersonen besuchten als «Zöglinge» das Seminar in Wettingen. Frauen liessen sich in Aarau ausbilden. Das änderte sich im 20. Jahrhundert. von Hansjörg Frank Bei der Einrichtung des Lehrerseminars in Wettingen 1847 als Konviktseminar (Internat) mit angegliedertem Landwirtschaftsbetrieb überrascht es nicht, dass sich lange Zeit nur männliche Kandidaten hier ausbilden lassen konnten. In der Kantonshauptstadt Aarau wurde aus einem privaten «Töchterinstitut» gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Lehrerinnenseminar. Erst ab 1966 wurden auch hier männliche Seminaristen zusammen mit ihren Kolleginnen ausgebildet. Wegen Platzmangel auch Frauen im Seminar Die heute selbstverständliche Koedukation wurde aber phasenweise durch die Knappheit der räumlichen Verhältnisse erzwungen. So besuchten zwischen 1905 und 1925 auch junge Frauen das Lehrerseminar Wettingen, um das Seminar in Aarau zu entlasten. In den Genuss dieser Ausbildung in Wettingen kamen vorwiegend Töchter von am Seminar tätigen Lehrpersonen, reformierten Religionslehrern oder aus Familien der näheren Umgebung von Wettingen. Die Gesamtzahl der Seminaristinnen in diesem Zeitraum überstieg jedoch kaum ein Dutzend. Nach 1925 wurde diese Praxis wieder beendet. Die Ursache für diesen Entscheid lag im dramatischen Raummangel des Seminars Wettingen begründet. Der Entscheid, keine Seminaristinnen in Wettingen mehr aufzunehmen, wurde vom Regierungsrat bereits am 2. Februar 1923 gefällt. Geist «durchaus wohltätig» Direktor Arthur Frey bedauerte im Jahresbericht des Lehrerseminars von 1925 das Ende der gemeinsamen Ausbildung: «Wenn unsere Schülerinnen eine tüchtige häusliche Erziehung und genügende Selbständigkeit zur Behauptung ihrer weiblichen Eigenart mit sich brachten, so war ihr Einfluss auf den Geist des Seminars durchaus wohltätig und der Verkehr in den Klassen von gesunder harmloser Natürlichkeit.» Aus der Sicht von Frey brachten die Mädchen «vor allem, wenn sie nicht einzeln in der Klasse waren, ein wohltuendes Element in den Geist derselben», auch wenn der «für die männliche Jugend bestimmte Lehrplan», manchen Schülerinnen Mühe bereitet haben soll «namentlich in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern».
Hedwig Dorosz verfasste diverse Artikel und Erzählungen in Zeitschriften, aber auch zwei Romane und zwei Gedichtsammlungen («Die Flamme» und «Poetische Weltfahrt»). Ihre Texte sind geprägt von Weltschmerz und zeugen vielleicht von einer bereits angeschlagenen Gesundheit. Mit 41 Jahren stirbt Hedwig Dorosz an einer Lungenentzündung. Seminaristinnen in der Mehrheit Erst ab dem Schuljahr 1964/65 wurden wieder Frauen in Wettingen aufgenommen. Sie stammten meist aus der näheren Umgebung der Schule. Vereinzelt bezogen die Frauen in Wettingen und Umgebung ein Zimmer bei einer Schlummermutter, verpflegten sich aber zusammen mit den Internatszöglingen in der Mensa der Schule. Schon ab 1965/66 stieg die Anzahl der Seminaristinnen in Wettingen von anfänglich 16 auf 169 Schülerinnen. 1979, als die letzten Lehrerpatente überreicht wurden, lag die Anzahl der Frauen drei Mal höher als die Zahl der diplomierten männlichen Lehrpersonen. Die Lehrerinnenausbildung war eine Chance für Frauen, höhere Bildung zu erlangen. Mittlerweile ist die Lehrtätigkeit an der Volksschule (Obligatorische Schule) schweizweit mehrheitlich in weiblicher Hand, wie die folgende Grafik des Bundeamts für Statistik mit einer Erhebung zum Schuljahr 2022/23 zeigt: Wettingen wird zur weiblichen Schule
Die Aufhebung des Lehrerseminars 1976 und die Schaffung der neuen Gymnasialtypen PSG und Typus D sowie die Einführung der Diplommittelschule (heute Fachmittelschule) erhöhte den Anteil weiblicher Studierender an den Mittelschulen zusätzlich. Frauen, die eine gymnasiale Maturitätsschule oder eine Fachmittelschule besuchen, machen an den Mittelschulen deutlich mehr als die Hälfte der Lernenden aus. Sie sind wohl die berühmtesten Wettinger Bücher: die drei Bände des Wettinger Graduale, die seit der Aufhebung des Zisterzienserklosters 1841 in der Kantonsbibliothek in Aarau aufbewahrt werden. Die Musikschriften blieben danach aber fast ein Jahrhundert lang unbeachtet. Und dies, obwohl sie ein Juwel der Buchmalerei darstellen. von Ruth Wiederkehr Es muss Anfang der 1930er-Jahre gewesen sein, als der Staatsarchivar Hektor Ammann die drei Bände genauer anschaute und sie dem Badener Lokalhistoriker und Bezirksschulrektor Otto Mittler zeigte. Beide merkten rasch, dass es sich dabei um bedeutende Exemplare der gotischen Buchmalerei handelte. Im Jahr 1935 dann publizierte Mittler ein erstes Mal dazu. Und bald folgte die erste akribische Untersuchung: Marie Mollwo, Studentin an der Universität Bern, reichte mitten im Zweiten Weltkrieg 1943 ihre Doktorarbeit zum Wettinger Graduale ein, im Folgejahr veröffentlichte sie ein Buch über diese grosse Musikhandschrift. Ihre wichtige Erkenntnis: Das Wettinger Graduale ist gar nicht in Wettingen entstanden. Kölner Meister malen Wie kam sie zu diesem Schluss? Mittelalterliche Bücher sind nur sehr selten mit einem Schreibernamen, einem Datum oder Entstehungsort versehen. Deshalb bleibt Fachleuten nichts anderes übrig, als Texte, Schriftformen, Zeichnungen und die Malerei mit anderen Büchern zu vergleichen, zu denen mehr bekannt ist. Mollwo fand heraus, dass die drei Wettinger Handschriften in einer Kölner Werkstatt entstanden sind. Sie konnte die aufwändigen, detailreichen Bilder in einigen der Anfangsbuchstaben der Liedtexte dortigen Künstlern zuordnen – einem älteren und einem jüngeren Meister, die in der Zeit zwischen 1330 und 1335 am Mittelrhein gearbeitet haben. Vielleicht in einem klösterlichen Skriptorium, vielleicht in einer Werkstatt. Mollwo bemerkte auch: «Die Schrift der drei Gradualbände ist so gleichartig, dass sie beinahe von einem einzigen Schreiber herrühren könnte. Nur beim näheren Hinsehen erkennt man mehrere Hände.» Drei Bände genau geplant Das Wettinger Graduale ist das Resultat detaillierter Planung. Der Beschreibstoff ist Pergament, also Tierhaut, vielleicht von Schafen. Wohl mehr als 150 solche Tiere brauchte es für die 666 Blatt. Vier bis fünf zugeschnittene Pergamentstreifen wurden jeweils ineinandergelegt, zu einzelnen Lagen gefaltet, beschrieben und mit Verzierungen versehen. Erst dann banden sie die Kunsthandwerker zusammen und fügten sie zu einem Buch zusammen – in diesem Fall drei Bände. Der erste Band umfasst die Messgesänge der hohen Kirchfeste für das Winterhalbjahr von Weihnachten bis zum Palmsonntag. Der zweite Band enthält Melodien und Texte für die Feste im Sommer von Ostern über Pfingsten bis zu Fronleichnam. Im dritten Band sind die Gesänge für die grossen Heiligenfeste enthalten, vier Marienfeste (Lichtmess, Verkündigung, Himmelfahrt, Geburt) und Allerheiligen. In Wettingen gestrandet Auch über die ursprünglichen Auftraggeber lässt sich nach gründlicher Analyse vermutlich sagen: Es waren Augustiner Eremiten. Auf den Blattverzierungen sind nämlich zweimal Mönche im entsprechenden klösterlichen Gewand zu sehen. In Band 3 gibt ein Gesangstext einen Hinweis darauf, dass der Kirchenlehrer Augustinus von Hippo ein wichtiger Heiliger war für diejenigen, die diese Musikhandschrift schliesslich im Gottesdienst brauchten. Wohl eine Gemeinschaft, die nach der Augustinerregel lebte. Denn das grosse Format lässt keinen Zweifel daran, dass die Handschrift für eine Ordensgemeinschaft gedacht war: Sie war so gross, dass sie im Zentrum des Mönchchors aufgestellt werden konnte, sodass Sänger gemeinsam von einer Distanz her hineinschauen konnten. Warum aber landete diese augustinische Handschrift in Wettingen? Darüber lässt sich nur mutmassen. Vielleicht befanden sich die drei Bücher um 1500 in Zürich bei den Augustiner Eremiten in der heutigen Kirche beim Rennweg. Als in der Reformation 1524 alle Klöster in der Stadt aufgehoben wurden, waren diese Bücher wie viele Kunstwerke «übrig». Und vielleicht kamen sie dann, so wie auch anderes «Strandgut», nach Wettingen. Sie ergänzten die mittelalterliche Musikbibliothek – heute ist von ihr nicht mehr viel bekannt. Von einer Handschrift wissen wir aber sicher, dass sie in Wettingen Hergestellt wurde. Sie lagert heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg. Weiterlesen...
... und weiterschauen:
Das Leben der Mönche war wesentlich auf das Jenseits ausgerichtet. Irdische Bedürfnisse hatten einen geringeren Stellenwert, waren aber nicht zu umgehen. Dazu gehörten auch sanitäre Anlagen in den Klöstern. Ein Abort, eine domus necessaria, war bereits im St. Galler Klosterplan vorgesehen. von Hansjörg Frank Im Vergleich zu den hygienischen Verhältnissen in den mittelalterlichen Städten wurden in den Klöstern geradezu luxuriöse Lösungen für dieses Problem gefunden. Im Kloster Wettingen wurde dafür eigens wohl schon im 13. Jahrhundert ein Latrinenturm am Südende des Dormitoriums gebaut. Der darunter fliessende Bach – ein Nebenarm des Klosterbachs – entsorgte die Fäkalien in die Limmat. Die Anlage war einerseits vom Dormitorium aber auch vom einstigen Gästetrakt über Holzlauben zugänglich. Derartige sanitäre Einrichtungen finden wir auch im Kloster Salem – wo ein Fäkalienschacht noch existiert – oder im Zisterzienserkloster Zwettl in Österreich, wo die intakte mittelalterliche Anlage noch heute zu besichtigen ist. Langlebige Latrine Der Latrinenturm des Klosters Wettingen ist auch auf anderen Darstellungen und Bildern zu sehen. Die Bezeichnung dieser Örtlichkeit, welche Johann Heinrich Murer in der Legende zugeschrieben hat, ist wohl der täglichen Erfahrung geschuldet und vielleicht sogar humorvoll gemeint: Thüre zu allen Winden. Bei all den anderen baulichen Erneuerungen, welche das Kloster erfahren hat, bestand offensichtlich lange Zeit keine Veranlassung, an dieser Einrichtung etwas zu verändern. Zum Zeitpunkt der Klosteraufhebung und bei der Einrichtung des Lehrerseminars befanden sich die Anlagen noch am selben Ort. Der einst freistehende Latrinenturm war nun baulich aber mit dem Dormitoriumstrakt fest verbunden und um ein Stockwerk erhöht, wie der folgende Plan aus der Zeit der Klosteraufhebung zeigt. Zeitgemässer Abort
Die steigenden Schülerzahlen im Lehrerseminar gegen Ende des 19. Jahrhunderts machten schliesslich eine bauliche Erweiterung der Anlagen notwendig. Voraussetzung dafür war der Anschluss des Lehrerseminars an die öffentliche Wasserversorgung. Noch im Jahr 1907 war man mit der Planung neuer Bade- und Waschgelegenheiten für die Seminaristen beschäftigt. 1952 wurde das Necessarium abgebrochen und durch zeitgemässe Abortanlagen ersetzt. Die Silberysenchronik ist in der eidgenössischen Geschichtsschreibung eine vielzitierte Quelle, nicht zuletzt wegen der eingängigen Illustrationen. Der Verfasser, der Wettinger Abt Christoph Silberysen, hat aber in der Region eine weitere, wenig bekannte Trouvaille hinterlassen. von Bruno Meier ![]() Die Schlacht bei Dättwil Ende Dezember 1351 nach der Schweizer Chronik von Christoph Silberysen. Für diese Chronik ist Abt Silberysen bekannt. Das Bild zeigt das Gefecht zwischen einem habsburgischen Aufgebot und einem Zürcher Trupp, der von einem Plünderungszug heimzog. Es soll unentschieden ausgegangen sein. Bild: e-codices.ch, Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsWettF 16:1, S. 343. Christoph Silberysen (1542–1608) aus Baden ist in der Klostergeschichte nicht als erfolgreicher Abt in die Annalen eingegangen. Er wurde im Sommer 1563 sehr jung, als 21-Jähriger, zum Abt gewählt, nur drei Jahre nach seiner Profess. Es waren unruhige Zeiten: Viele Klöster wirtschafteten schlecht und sträubten sich gegen nötige Reformen. Silberysen machte in dieser Beziehung keine Ausnahme. Er vernachlässigte die Klosterwirtschaft und spielte eine eigenartige Rolle in den Bestrebungen der neu eingerichteten päpstlichen Nuntiatur, die Klöster wieder auf einen richtigen Weg zu bringen. Aus heutiger Sicht würde man sagen, die «corporate governance» im Kloster war unter seiner Führung in jeder Hinsicht schlecht. Unter internem und äusserem Druck musste er 1594 definitiv resignieren. Peter Schmid, sein interner Kritiker, wurde Abt und führte das Kloster zu neuer Blüte. Wenig bekannte Handschrift in Baden Silberysen war ein typischer Renaissanceabt. Das Klosterleben und die Klosterwirtschaft interessierten ihn weniger, er hatte geistige und kulturelle Interessen. Er veranlasste unter anderem mehrere Stiftungen von Glasgemälden für den Kreuzgang. Bekannt geworden ist er als Verfasser beziehungsweise Kompilator eidgenössischer Geschichte. Seine dreibändige Schweizer Chronik (1576ff.), das Chronicon Helvetiae, heute in der Aargauer Kantonsbibliothek, basiert auf den bekannten Chroniken der Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi und Johannes Stumpf, die Illustrationen orientierten grösstenteils an den Chroniken von Heinrich Brennwald und Werner Schodoler. Im Baden hinterliess Silberysen jedoch eine Handschrift (N.82.16 im Stadtarchiv), die wenig bekannt ist. Eine teilweise illustrierte Sammlung eidgenössischer Briefe, in der Art ähnlich wie das Weisse Buch von Sarnen einhundert Jahre zuvor. Zu jedem Brief steht eine leere Seite für eine Illustration, sieben davon sind ausgeführt. Paul Haberbosch hat 1959 glaubhaft nachgewiesen, dass wahrscheinlich der Badener Maler Durs von Aegeri als Zeichner aktiv war. Einige Illustrationen sind auf 1578 datiert. Wappen und Schwurhände Die Handschrift, die im 17. Jahrhundert nach Silberysen von anderen ergänzt worden ist, widerspiegelt eindrücklich die damaligen Kenntnisse und den Kanon eidgenössischer Geschichte, wie sie der Glarner Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi einige Jahrzehnte zuvor in eine gültige Form gebracht hat. Die Illustration des Bundesschwurs von Uri, Schwyz und Unterwalden ist daher auch beim Brief von Brunnen von 1315 platziert. Denn der Bundesbrief von 1291 war damals nicht bekannt. 1315 galt bis ins 19. Jahrhundert immer als der erste Bund. Eine Zeichnung vom dreijährigen Bündnis von Zürich mit Uri und Schwyz von Oktober 1291 ist fälschlicherweise auf 1251 datiert, wie das Tschudi auch schon gemacht hat. Die Ikonografie der Zeichnungen bezieht sich stark auf die damals bekannten, eingängigen Bilder: Die Wappen entsprechen dem Kanon des Scheibenzyklus von Lukas Zeiner im Tagsatzungssaal von Baden, den Silberysen natürlich gekannt hat. Die Bundessymbolik und die Schwurszene richten sich nach den verbreiteten Darstellungen auf den Medaillen des Jakob Stampfer aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Weiterlesen: Paul Haberbosch: Durs von Aegeri. Altarmaler und Chronikzeichner aus Baden. In: Badener Neujahrsblätter 1959, S. 12–28. Bruno Meier: Bundesschwur und Freiheitsbriefe. Eine illustrierte Handschrift des 16. Jahrhunderts aus Baden. In: Librarium 36/1, 1993, S. 14–20. Nachdem im ersten Teil die Zisterzienser als Orden und das klösterliche Leben im Fokus gestanden hatte, zeigt dieser Beitrag, wie die Wettinger Zisterzienser ab 1227 auf der Klosterhalbinsel lebten, wie sie sich organisierten und Traditionen weiterpflegten. von Annina Sandmeier-Walt Unmittelbar nach der Gründung des Klosters begann der Kirchenbau und es entstand bis in die frühe Neuzeit ein komplexer Klosterbau mit Konventbauten, Kreuzgang, Gärten, Werkstätten und Mauern. Dabei gab es klare Trennungen von Bereichen für Laien und Geistliche. In der Kirche beteten die Konversen (Laienbrüder) und die geweihten Mönche getrennt, auch die Schlafräume waren separat. Die Klausur, der innere und nach aussen abgeschlossene Bereich des Klosters, war nur für Mönche zugänglich, Gäste hatten keinen Zutritt. Ideal und Wirklichkeit Das klösterliche Ideal der Bescheidenheit, das die Zisterzienser ursprünglich verfolgten, rückte angesichts realer Umstände in Wettingen wie anderorts zusehends in den Hintergrund. Das Kloster erwarb bald weitläufigen Grundbesitz im Limmattal, ferner in Uri, Zürich und Basel. Vor Ort hatte es bis 1798 zudem die Niedere Geschichtsbarkeit sowie Jagd- und Fischereirechte inne. Doch auch klosterintern gab es vom Mittelalter bis in die Neuzeit Verschiebungen der Aufgaben. Während weniger Konversen eintraten und das Land grösstenteils verpachtet wurde, verlagerten sich die Aufgaben der Mönche zunehmend auf Bildung sowie Seelsorge in Pfarreien und Frauenklöstern. So unterstanden sämtliche Zisterzienserinnenklöster der Ost- und Zentralschweiz für eine gewisse Zeit dem Wettinger Abt. Mit der Gründung einer eigenen Schule für Philosophie und Theologie 1604 legte die Abtei mehr Wert auf die wissenschaftliche Betätigung der Mönche. Teil von Kongregationen Das mittelalterliche Filialsystem der Zisterzienserklöster wurde in der Neuzeit nach und nach durch Kongregationen – also einem Klosterverband selbständiger Klöster – abgelöst. Wettingen gehörte zur Oberdeutschen Zisterzienserkongregation und stand nach deren Auflösung der 1806 enstandenen Schweizerischen Zisterzienserkongregation vor. Mit der Aufhebung des Klosters Wettingen durch den Kanton Aargau 1841 und der Übernahme des Klosters Mehrerau bei Bregenz 1854 mussten die Mönche ihren Platz im Orden der Zisterzienser erst wieder finden. Ende des 19. Jahrhunderts gründete das Kloster eine eigene Kongregation, die heute den Namen «Zisterzienserkongregation von Mehrerau» trägt und deren Vorsitz der Abt von Wettingen-Mehrerau führt. Erinnerungen und Tradition in Mehrerau Ein Blick in die Webseite des Klosters Wettingen-Mehrerau zeigt: Noch immer ist der Alltag der Mönche von 5:45 Uhr bis abends um 19:30 Uhr geprägt von den Gebetszeiten und der Messe. Und noch immer tragen sie den zweifarbigen Habit, der sie als Zisterzienser erkennbar macht. Auch Wettingen ist im am Bodensee gelegenen Kloster noch immer präsent. Von ihm zeugen Malereien von der Klosterhalbinsel und Gemälde von Wettinger Äbten aber auch Traditionen wie das Totengedenken, das samstägliche Salve Regina sowie das Gedenken der Katakombenheiligen Marianus und Getulius in der Vesper. |
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September 2025
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