Neue Klostergeschichte Wettingen
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Heiliger Georg aus Wettingen? Die Inszenierung und das Vergessen des Augustin Keller

23/5/2025

 
Augustin Keller war erst Klostergegner. Und dann Direktor des Lehrerseminars im ehemaligen Kloster Wettingen. Nach seinem Tod wollte sein Sohn ihn als Held positionieren. Eine neu wiederentdeckte Glasscheibe erzählt, wie Keller verehrt, politisch aufgeladen und schliesslich vergessen wurde.
von Noemi Heusler
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«Augustin Keller! Wer im Schweizerland kennt nicht seinen Namen, den die Einen mit hoher Verehrung nennen, während er den Anderen zur Stunde noch eine Erinnerung ist an böse vergangene Zeiten!»
So lautete die Einleitung des Artikels zum Ruhestand von Augustin Keller in den Aargauer Nachrichten am 5. Dezember 1881. Er liest sich wie ein Nachruf. 
Augustin Keller blieb nach seinem Tod 1883 eine polarisierende Figur. Während ihn radikal-liberale Kreise als Vorkämpfer gegen die Jesuiten ehrten, wurde er von katholisch-konservativer Seite als fanatischer Klostergegner verurteilt. Schliesslich war er 1841 massgeblich an der Aargauer Klosteraufhebung, die auch das Kloster Wettingen traf, beteiligt. Die Erinnerung an Augustin Keller Anfang des 20. Jahrhunderts schwankte zwischen Verherrlichung und scharfer Kritik.
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Augustin bezwingt das Böse
Der Kampf um das Andenken Augustin Kellers wurde auf vielen Ebenen ausgetragen – in öffentlichen Reden, in der Presse, durch Denkmäler und in biografischen Schriften. Auch im Privaten gab es Versuche, Kellers Vermächtnis lebendig zu halten. So etwa in Form eines Erinnerungsprojekts, das sein Sohn Arnold Keller initiierte: Eine Glasscheibe sollte den Vater ehren.
Die Scheibe wurde 1907 entworfen und 1910 vom Zürcher Glasmeister Jakob Georg Röttinger ausgeführt. Arnold Keller lobte den Künstler und hob die positive Resonanz auf die Scheibe hervor. 
​Im Zentrum zeigt das Bild Augustin Keller als heiligen Georg, der mit Lanze einen Drachen durchbohrt. Der Drache war ein gängiges Symbol für das Böse und die Jesuiten. Augustin Keller mochte diese Symbolik. Er verwendete sie gern in öffentlichen Reden, aber auch privaten Briefen. Auch Sohn Arnold Keller gefiel das Motiv. Er schrieb dazu: «Die Wahrheit besiegt die Lüge.»
Keller ist als radikal-liberaler, quasi-heiliger Held dargestellt. Die stark religiöse Symbolik wäre nur durch den in einer ersten Version noch vorhandenen Heiligenschein noch deutlicher geworden. Rechts neben Keller ist das Kloster Wettingen zu sehen, wo er von 1841 bis 1856 als Direktor des kantonalen Lehrerseminars tätig war und mit seiner Familie in den Räumen der Abtei lebte. Umgeben ist Keller von Wappen, die für die bedeutenden Positionen in Aarau, Aargau und der schweizerischen Eidgenossenschaft stehen und dem Familienwappen. Der Sonderbundskrieg ist in der oberen linken und rechten Ecke der Glasscheibe dargestellt.
Der Vater, der Held, der Heilige
Arnold Keller wollten seinen Vater mit der Scheibe als Familienoberhaupt ehren. Wettingen, der Wohnort der Familie, steht im Zentrum der Scheibe. Gleichzeitig ist Keller deutlich auch als politischer Held zu erkennen. Die Anspielungen auf politische Ämter, den Sonderbundskrieg und den Kampf gegen reaktionäre Kräfte dürften Kellers Rolle als Held der Radikal-Liberalen verdeutlicht haben. Die religiöse Bedeutungsebene ist überraschend. Durch Kellers Darstellung als heiliger Georg wird der Katholik Augustin Keller auch als religiöser Held abgebildet.
Die meisten Darstellungen auf der Glasscheibe stammen aus bereits existierenden Vorlagen. Die Szenen des Sonderbundskriegs sind adaptierte Holzschnitte von Jakob Ziegler, die den Sieg der liberalen Eidgenossen über den Sonderbund verherrlichen. Arnold Keller übernahm sie aus einem patriotischen Bildband von 1847.

Diese Übernahmen mögen praktischen oder ästhetischen Gründen geschuldet sein. Im Fall der Holzschnitte von Ziegler kann man sie als bewusste Anleihen verstehen, als Zitate aus einem kollektiven Bildgedächtnis, das Kellers Unterstützer wiedererkennen konnten. In dieser Wiedererkennbarkeit liegt die Kraft der Helden: Augustin Keller erscheint nicht als realistische Figur, sondern als idealisiertes Sinnbild, als religiöser Kämpfer, politischer Held, familiäres Vorbild. Die heldenhafte Darstellung überlagert die historische Persönlichkeit.
Eine Held ohne Anerkennung
Trotz der Inszenierung als Held ist Augustin Keller vielerorts in Vergessenheit geraten. Selbst in Wettingen, wo er lebte, und das Lehrerseminar aufbaute, erinnert heute im öffentlichen Raum nichts mehr an ihn.
Was bleibt, ist die Scheibe, die heute in der Sammlung von Museum Aargau aufbewahrt wird. Arnold Keller war es wichtig, das Andenken seines Vaters beständig zu gestalten und es öffentlich zu verbreiten. Die Wahl des Trägermaterials unterstreicht seinen Anspruch auf Dauer, wie er in seiner Dokumentation über die Erstellung der Glasscheibe festhält: «Warum eine Glasscheibe? […] Es (Glasgemälde) funkelt auch nach ungezählten Jahrhunderten noch in der statten Glut seiner Entstehungszeit […].» Er bestand auch auf eine Ausstellung der Scheibe: «Die Augustin Kellerscheibe soll nach dem Tode meiner beiden Kinder dem histor. Museum des Kantons Aargau in Aarau unter der Bedingung geschenkt werden, dass sie bleibend an passender Stelle dort ausgestellt wird. […].»
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Nach 1960 erstmals wieder aufgetaucht
Im Jahr 1960 wurde die Scheibe in der Kantonsbibliothek Aargau ausgestellt. Seither galt sie bei Forschenden als verschollen. Die Recherchen für diesen Beitrag zeigen, dass sie nach der Ausstellung 1960 in der Kantonsbibliothek Aargau lagerte, bis sie 1992 schliesslich dem Museum Aargau zurückgegeben wurde und im Sammlungszentrum des Museums endete. Die von Arnold Keller initiierte heldenhafte Darstellung seines Vaters hat also die Zeit überdauert. Doch anstatt an einem Fenster zu funkeln, wie es für die Darstellung eines Helden angemessen wäre, liegt sie unbemerkt in einem dunklen Lager. Ein Held entsteht im Licht der Öffentlichkeit. Die lange verschollene Glasscheibe von Augustin Keller ist ein Symbol für die Erinnerung an ihn, die auch in Wettingen weitestgehend verblasst ist.

Frauen mit Lehrplan «für die männliche Jugend»

19/3/2025

 
Die Ausbildung der Lehrpersonen in den Aargauer Seminaren erfolgte von Beginn weg nach Geschlechtern getrennt. Angehende männliche Lehrpersonen besuchten als «Zöglinge» das Seminar in Wettingen. Frauen liessen sich in Aarau ausbilden. Das änderte sich im 20. Jahrhundert.
von Hansjörg Frank
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Aufnahme einer Klasse von 1916 im Klosterpark 3 Frauen in der Klasse. Bild: Historisches Museum Baden, Fotohaus Zipser, Q.12.1.1446.
Bei der Einrichtung des Lehrerseminars in Wettingen 1847 als Konviktseminar (Internat) mit angegliedertem Landwirtschaftsbetrieb überrascht es nicht, dass sich lange Zeit nur männliche Kandidaten hier ausbilden lassen konnten.  In der Kantonshauptstadt Aarau wurde aus einem privaten «Töchterinstitut» gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Lehrerinnenseminar. Erst ab 1966 wurden auch hier männliche Seminaristen zusammen mit ihren Kolleginnen ausgebildet.
Wegen Platzmangel auch Frauen im Seminar
Die heute selbstverständliche Koedukation wurde aber phasenweise durch die Knappheit der räumlichen Verhältnisse erzwungen. So besuchten zwischen 1905 und 1925 auch junge Frauen das Lehrerseminar Wettingen, um das Seminar in Aarau zu entlasten. In den Genuss dieser Ausbildung in Wettingen kamen vorwiegend Töchter von am Seminar tätigen Lehrpersonen, reformierten Religionslehrern oder aus Familien der näheren Umgebung von Wettingen.
​Die Gesamtzahl der Seminaristinnen in diesem Zeitraum überstieg jedoch kaum ein Dutzend. Nach 1925 wurde diese Praxis wieder beendet. Die Ursache für diesen Entscheid lag im dramatischen Raummangel des Seminars Wettingen begründet. Der Entscheid, keine Seminaristinnen in Wettingen mehr aufzunehmen, wurde vom Regierungsrat bereits am 2. Februar 1923 gefällt.
Geist «durchaus wohltätig»
Direktor Arthur Frey bedauerte im Jahresbericht des Lehrerseminars von 1925 das Ende der gemeinsamen Ausbildung: «Wenn unsere Schülerinnen eine tüchtige häusliche Erziehung und genügende Selbständigkeit zur Behauptung ihrer weiblichen Eigenart mit sich brachten, so war ihr Einfluss auf den Geist des Seminars durchaus wohltätig und der Verkehr in den Klassen von gesunder harmloser Natürlichkeit.»
​Aus der Sicht von Frey brachten die Mädchen «vor allem, wenn sie nicht einzeln in der Klasse waren, ein wohltuendes Element in den Geist derselben», auch wenn der «für die männliche Jugend bestimmte Lehrplan», manchen Schülerinnen Mühe bereitet haben soll «namentlich in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern».
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Pionierin unter den Lehrerinnen: Hedwig Dorosz. Bild: Appendix, Argovia: Jahresschrift der Historischen Gesellschaft des Kantons Aargau, 68-69 (1958).
Eine der Pionierinnen am Lehrerseminar Wettingen war Hedwig Dorosz. Mit sieben Jahren kam sie mit ihrer Familie 1912 aus dem damaligen deutschen Kaiserreich (heute Krotoschyn, nordöstl. von Breslau, Polen) nach Baden. Ihr Vater fand eine Anstellung als kaufmännischer Angestellter bei Brown, Boveri & Cie. Tochter Hedwig besuchte in Baden die Gemeinde- und Bezirksschule und trat anschliessend in Lehrerseminar Wettingen ein. Diese hat sie erfolgreich abgeschlossen und sich anschliessend an der Universität Zürich eingeschrieben, wo sie anschliessend auch promovierte und 1934 Privatdozentin an der Universität Genf für Ästhetik und Psychologie wurde. Der frühe Tod ihres Verlobten, des Zürcher Philosophen Gottlob Friedrich Lipps, war ein harter Schicksalsschlag für sie. Dieser Schicksalsschlag hat sie wohl auch bewogen, ihre Lehrtätigkeit in Genf zu beenden und bei Kriegsbeginn 1939 zu ihren Eltern nach Baden zu ziehen.
Hedwig Dorosz verfasste diverse Artikel und Erzählungen in Zeitschriften, aber auch zwei Romane und zwei Gedichtsammlungen («Die Flamme» und «Poetische Weltfahrt»). Ihre Texte sind geprägt von Weltschmerz und zeugen vielleicht von einer bereits angeschlagenen Gesundheit. Mit 41 Jahren stirbt Hedwig Dorosz an einer Lungenentzündung.
Seminaristinnen in der Mehrheit
Erst ab dem Schuljahr 1964/65 wurden wieder Frauen in Wettingen aufgenommen. Sie stammten meist aus der näheren Umgebung der Schule. Vereinzelt bezogen die Frauen in Wettingen und Umgebung ein Zimmer bei einer Schlummermutter, verpflegten sich aber zusammen mit den Internatszöglingen in der Mensa der Schule.
Schon ab 1965/66 stieg die Anzahl der Seminaristinnen in Wettingen von anfänglich 16 auf 169 Schülerinnen. 1979, als die letzten Lehrerpatente überreicht wurden, lag die Anzahl der Frauen drei Mal höher als die Zahl der diplomierten männlichen Lehrpersonen. Die Lehrerinnenausbildung war eine Chance für Frauen, höhere Bildung zu erlangen.
Mittlerweile ist die Lehrtätigkeit an der Volksschule (Obligatorische Schule) schweizweit mehrheitlich in weiblicher Hand, wie die folgende Grafik des Bundeamts für Statistik mit einer Erhebung zum Schuljahr 2022/23 zeigt:
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Wettingen wird zur weiblichen Schule
Die Aufhebung des Lehrerseminars 1976 und die Schaffung der neuen Gymnasialtypen PSG und Typus D sowie die Einführung der Diplommittelschule (heute Fachmittelschule) erhöhte den Anteil weiblicher Studierender an den Mittelschulen zusätzlich. Frauen, die eine gymnasiale Maturitätsschule oder eine Fachmittelschule besuchen, machen an den Mittelschulen deutlich mehr als die Hälfte der Lernenden aus.

Musik für das Kloster

10/12/2024

 
Sie sind wohl die berühmtesten Wettinger Bücher: die drei Bände des Wettinger Graduale, die seit der Aufhebung des Zisterzienserklosters 1841 in der Kantonsbibliothek in Aarau aufbewahrt werden. Die Musikschriften blieben danach aber fast ein Jahrhundert lang unbeachtet. Und dies, obwohl sie ein Juwel der Buchmalerei darstellen.
von Ruth Wiederkehr
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Blick den aufgeschlagener Band 2 des Wettinger Graduale, einer Musikhandschrift. Es fällt sogleich die sorgfältige Ausarbeitung auf. Alle Bilder: Aarau, Kantonsbibliothek Aargau, WettFm 2.
Es muss Anfang der 1930er-Jahre gewesen sein, als der Staatsarchivar Hektor Ammann die drei Bände genauer anschaute und sie dem Badener Lokalhistoriker und Bezirksschulrektor Otto Mittler zeigte. Beide merkten rasch, dass es sich dabei um bedeutende Exemplare der gotischen Buchmalerei handelte. Im Jahr 1935 dann publizierte Mittler ein erstes Mal dazu. Und bald folgte die erste akribische Untersuchung: Marie Mollwo, Studentin an der Universität Bern, reichte mitten im Zweiten Weltkrieg 1943 ihre Doktorarbeit zum Wettinger Graduale ein, im Folgejahr veröffentlichte sie ein Buch über diese grosse Musikhandschrift. Ihre wichtige Erkenntnis: Das Wettinger Graduale ist gar nicht in Wettingen entstanden.
Kölner Meister malen
Wie kam sie zu diesem Schluss? Mittelalterliche Bücher sind nur sehr selten mit einem Schreibernamen, einem Datum oder Entstehungsort versehen. Deshalb bleibt Fachleuten nichts anderes übrig, als Texte, Schriftformen, Zeichnungen und die Malerei mit anderen Büchern zu vergleichen, zu denen mehr bekannt ist. Mollwo fand heraus, dass die drei Wettinger Handschriften in einer Kölner Werkstatt entstanden sind. Sie konnte die aufwändigen, detailreichen Bilder in einigen der Anfangsbuchstaben der Liedtexte dortigen Künstlern zuordnen – einem älteren und einem jüngeren Meister, die in der Zeit zwischen 1330 und 1335 am Mittelrhein gearbeitet haben. Vielleicht in einem klösterlichen Skriptorium, vielleicht in einer Werkstatt. Mollwo bemerkte auch: «Die Schrift der drei Gradualbände ist so gleichartig, dass sie beinahe von einem einzigen Schreiber herrühren könnte. Nur beim näheren Hinsehen erkennt man mehrere Hände.»
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Beim Gesang zur Epiphanie, dem 6. Januar, sind in der Initiale Maria mit dem Jesuskind und die Drei Könige zu sehen. Diese Stelle befindet sich im ersten von drei Bänden (fol. 49r).
Drei Bände genau geplant
Das Wettinger Graduale ist das Resultat detaillierter Planung. Der Beschreibstoff ist Pergament, also Tierhaut, vielleicht von Schafen. Wohl mehr als 150 solche Tiere brauchte es für die 666 Blatt. Vier bis fünf zugeschnittene Pergamentstreifen wurden jeweils ineinandergelegt, zu einzelnen Lagen gefaltet, beschrieben und mit Verzierungen versehen. Erst dann banden sie die Kunsthandwerker zusammen und fügten sie zu einem Buch zusammen – in diesem Fall drei Bände.
Der erste Band umfasst die Messgesänge der hohen Kirchfeste für das Winterhalbjahr von Weihnachten bis zum Palmsonntag. Der zweite Band enthält Melodien und Texte für die Feste im Sommer von Ostern über Pfingsten bis zu Fronleichnam. Im dritten Band sind die Gesänge für die grossen Heiligenfeste enthalten, vier Marienfeste (Lichtmess, Verkündigung, Himmelfahrt, Geburt) und Allerheiligen.
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Einige der Seitenränder enthalten lustvolle Verzierungen, die im Detail ausgearbeitet sind, hier ein Seitenrand im dritten der drei Bände (fol. 64v.).
In Wettingen gestrandet
Auch über die ursprünglichen Auftraggeber lässt sich nach gründlicher Analyse vermutlich sagen: Es waren Augustiner Eremiten. Auf den Blattverzierungen sind nämlich zweimal Mönche im entsprechenden klösterlichen Gewand zu sehen. In Band 3 gibt ein Gesangstext einen Hinweis darauf, dass der Kirchenlehrer Augustinus von Hippo ein wichtiger Heiliger war für diejenigen, die diese Musikhandschrift schliesslich im Gottesdienst brauchten. Wohl eine Gemeinschaft, die nach der Augustinerregel lebte. Denn das grosse Format lässt keinen Zweifel daran, dass die Handschrift für eine Ordensgemeinschaft gedacht war: Sie war so gross, dass sie im Zentrum des Mönchchors aufgestellt werden konnte, sodass Sänger gemeinsam von einer Distanz her hineinschauen konnten.
Warum aber landete diese augustinische Handschrift in Wettingen? Darüber lässt sich nur mutmassen. Vielleicht befanden sich die drei Bücher um 1500 in Zürich bei den Augustiner Eremiten in der heutigen Kirche beim Rennweg. Als in der Reformation 1524 alle Klöster in der Stadt aufgehoben wurden, waren diese Bücher wie viele Kunstwerke «übrig». Und vielleicht kamen sie dann, so wie auch anderes «Strandgut», nach Wettingen. Sie ergänzten die mittelalterliche Musikbibliothek – heute ist von ihr nicht mehr viel bekannt. Von einer Handschrift wissen wir aber sicher, dass sie in Wettingen Hergestellt wurde. Sie lagert heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg.
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Ein Mönch singt, der andere Mönch spielt Orgel, beide tragen den Habit (das Kleid) von Augustiner Eremiten, einem nach der Augustinerregel lebenden Bettelorden. Dieser Orden entstand im 13. Jahrhundert aus der Armutsbewegung. Diese Randverzierung findet sich im zweiten der drei Bände (fol. 175v).
Weiterlesen...
  • Peter Hoegger: Die Initialbilder im «Wettinger Graduale» und ihre stilistischen Wurzeln. In: Badener Neujahrsblätter 70 (1995), S. 80–99. Online
  • Marie Mollwo: Das Wettinger Graduale. Eine geistliche Bilderfolge vom Meister des Kasseler Willehalmcodex und seinem Nachfolger. Bern 1944.
... und weiterschauen:
  • Digitalisat Wettinger Graduale in der Kantonsbibliothek Aargau, Band 1, WettFm 1
  • Digitalisat Wettinger Graduale in der Kantonsbibliothek Aargau, Band 2, WettFm 2
  • Digitalisat Wettinger Graduale in der Kantonsbibliothek Aargau, Band 3, WettFm 3
  • Digitalisat Antiphonar aus Wettingen in der Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Sal. X,6

Menschliches und Nötiges

19/9/2024

 
Das Leben der Mönche war wesentlich auf das Jenseits ausgerichtet. Irdische Bedürfnisse hatten einen geringeren Stellenwert, waren aber nicht zu umgehen. Dazu gehörten auch sanitäre Anlagen in den Klöstern. Ein Abort, eine domus necessaria, war bereits im St. Galler Klosterplan vorgesehen.
von Hansjörg Frank
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Latrinenturm des Klosters Wettingen (in der Mitte, mit Fensterschlitzen). Bild: Zeichnung von Johann Balthasar Bullinger, um 1770. (ZBZ, https://www.e-manuscripta.ch/i3f/v20/1235587/manifest)
Im Vergleich zu den hygienischen Verhältnissen in den mittelalterlichen Städten wurden in den Klöstern geradezu luxuriöse Lösungen für dieses Problem gefunden. Im Kloster Wettingen wurde dafür eigens wohl schon im 13. Jahrhundert ein Latrinenturm am Südende des Dormitoriums gebaut. Der darunter fliessende Bach – ein Nebenarm des Klosterbachs – entsorgte die Fäkalien in die Limmat. Die Anlage war einerseits vom Dormitorium aber auch vom einstigen Gästetrakt über Holzlauben zugänglich.
Derartige sanitäre Einrichtungen finden wir auch im Kloster Salem – wo ein Fäkalienschacht noch existiert – oder im Zisterzienserkloster Zwettl in Österreich, wo die intakte mittelalterliche Anlage noch heute zu besichtigen ist.
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Der Latrinenturm des Klosters Wettingen (Buchstabe P) mit der Legende Thüre zu allen Winden. Ausschnitt aus einer Federzeichnung von Johann Heinrich Murer, um 1635.
Langlebige Latrine
Der Latrinenturm des Klosters Wettingen ist auch auf anderen Darstellungen und Bildern zu sehen. Die Bezeichnung dieser Örtlichkeit, welche Johann Heinrich Murer in der Legende zugeschrieben hat, ist wohl der täglichen Erfahrung geschuldet und vielleicht sogar humorvoll gemeint: Thüre zu allen Winden.
Bei all den anderen baulichen Erneuerungen, welche das Kloster erfahren hat, bestand offensichtlich lange Zeit keine Veranlassung, an dieser Einrichtung etwas zu verändern.
Zum Zeitpunkt der Klosteraufhebung und bei der Einrichtung des Lehrerseminars befanden sich die Anlagen noch am selben Ort. Der einst freistehende Latrinenturm war nun baulich aber mit dem Dormitoriumstrakt fest verbunden und um ein Stockwerk erhöht, wie der folgende Plan aus der Zeit der Klosteraufhebung zeigt.
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Blick ins Innere der Latrinen in einem undatierten Plan aus der Zeit des Lehrerseminars. StAAG, P.16/0007, Foto: H. Frank.
Zeitgemässer Abort
Die steigenden Schülerzahlen im Lehrerseminar gegen Ende des 19. Jahrhunderts machten schliesslich eine bauliche Erweiterung der Anlagen notwendig. Voraussetzung dafür war der Anschluss des Lehrerseminars an die öffentliche Wasserversorgung. Noch im Jahr 1907 war man mit der Planung neuer Bade- und Waschgelegenheiten für die Seminaristen beschäftigt.
1952 wurde das Necessarium abgebrochen und durch zeitgemässe Abortanlagen ersetzt.

Ein Wettinger Abt als Geschichtsschreiber

12/7/2024

 
Die Silberysenchronik ist in der eidgenössischen Geschichtsschreibung eine vielzitierte Quelle, nicht zuletzt wegen der eingängigen Illustrationen. Der Verfasser, der Wettinger Abt Christoph Silberysen, hat aber in der Region eine weitere, wenig bekannte Trouvaille hinterlassen.
von Bruno Meier
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Die Schlacht bei Dättwil Ende Dezember 1351 nach der Schweizer Chronik von Christoph Silberysen. Für diese Chronik ist Abt Silberysen bekannt. Das Bild zeigt das Gefecht zwischen einem habsburgischen Aufgebot und einem Zürcher Trupp, der von einem Plünderungszug heimzog. Es soll unentschieden ausgegangen sein. Bild: e-codices.ch, Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsWettF 16:1, S. 343.
Christoph Silberysen (1542–1608) aus Baden ist in der Klostergeschichte nicht als erfolgreicher Abt in die Annalen eingegangen. Er wurde im Sommer 1563 sehr jung, als 21-Jähriger, zum Abt gewählt, nur drei Jahre nach seiner Profess. Es waren unruhige Zeiten: Viele Klöster wirtschafteten schlecht und sträubten sich gegen nötige Reformen.
Silberysen machte in dieser Beziehung keine Ausnahme. Er vernachlässigte die Klosterwirtschaft und spielte eine eigenartige Rolle in den Bestrebungen der neu eingerichteten päpstlichen Nuntiatur, die Klöster wieder auf einen richtigen Weg zu bringen. Aus heutiger Sicht würde man sagen, die «corporate governance» im Kloster war unter seiner Führung in jeder Hinsicht schlecht. Unter internem und äusserem Druck musste er 1594 definitiv resignieren. Peter Schmid, sein interner Kritiker, wurde Abt und führte das Kloster zu neuer Blüte.

Wenig bekannte Handschrift in Baden
Silberysen war ein typischer Renaissanceabt. Das Klosterleben und die Klosterwirtschaft interessierten ihn weniger, er hatte geistige und kulturelle Interessen. Er veranlasste unter anderem mehrere Stiftungen von Glasgemälden für den Kreuzgang. Bekannt geworden ist er als Verfasser beziehungsweise Kompilator eidgenössischer Geschichte. Seine dreibändige Schweizer Chronik (1576ff.), das Chronicon Helvetiae, heute in der Aargauer Kantonsbibliothek, basiert auf den bekannten Chroniken der Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi und Johannes Stumpf, die Illustrationen orientierten grösstenteils an den Chroniken von Heinrich Brennwald und Werner Schodoler.
Im Baden hinterliess Silberysen jedoch eine Handschrift (N.82.16 im Stadtarchiv), die wenig bekannt ist. Eine teilweise illustrierte Sammlung eidgenössischer Briefe, in der Art ähnlich wie das Weisse Buch von Sarnen einhundert Jahre zuvor. Zu jedem Brief steht eine leere Seite für eine Illustration, sieben davon sind ausgeführt. Paul Haberbosch hat 1959 glaubhaft nachgewiesen, dass wahrscheinlich der Badener Maler Durs von Aegeri als Zeichner aktiv war. Einige Illustrationen sind auf 1578 datiert.
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Die Schwurszene nach Silberysen in der wenig bekannten Badener Handschrift: Illustration zum Bund von Brunnen im Dezember 1315. Drei eher kleinbürgerlich anmutende Männer im Stil der Zeit. Bild: StAB, N.82.16, nach Librarium 36/1, 1993, S. 15.
Wappen und Schwurhände
Die Handschrift, die im 17. Jahrhundert nach Silberysen von anderen ergänzt worden ist, widerspiegelt eindrücklich die damaligen Kenntnisse und den Kanon eidgenössischer Geschichte, wie sie der Glarner Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi einige Jahrzehnte zuvor in eine gültige Form gebracht hat. Die Illustration des Bundesschwurs von Uri, Schwyz und Unterwalden ist daher auch beim Brief von Brunnen von 1315 platziert. Denn der Bundesbrief von 1291 war damals nicht bekannt. 1315 galt bis ins 19. Jahrhundert immer als der erste Bund. Eine Zeichnung vom dreijährigen Bündnis von Zürich mit Uri und Schwyz von Oktober 1291 ist fälschlicherweise auf 1251 datiert, wie das Tschudi auch schon gemacht hat.
Die Ikonografie der Zeichnungen bezieht sich stark auf die damals bekannten, eingängigen Bilder: Die Wappen entsprechen dem Kanon des Scheibenzyklus von Lukas Zeiner im Tagsatzungssaal von Baden, den Silberysen natürlich gekannt hat. Die Bundessymbolik und die Schwurszene richten sich nach den verbreiteten Darstellungen auf den Medaillen des Jakob Stampfer aus der Mitte des 16. Jahrhunderts.
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Der Berner Bund von 1353 in der Badener Handschrift: Vor einer Fantasielandschaft, die an den Vierwaldstättersee erinnern könnte, hält eine (göttliche) Hand einen Gürtel mit den Bundesgenossen, eine starke Symbolik. Bild: StAB, N.82.16, nach Librarium 36/1, 1993, S. 19.
 
Weiterlesen:
Paul Haberbosch: Durs von Aegeri. Altarmaler und Chronikzeichner aus Baden. In: Badener Neujahrsblätter 1959, S. 12–28.
Bruno Meier: Bundesschwur und Freiheitsbriefe. Eine illustrierte Handschrift des 16. Jahrhunderts aus Baden. In: Librarium 36/1, 1993, S. 14–20.

Wandelnde Zebrastreifen» – Wer sind die Zisterzienser? (Teil 2)

31/5/2024

 
Nachdem im ersten Teil die Zisterzienser als Orden und das klösterliche Leben im Fokus gestanden hatte, zeigt dieser Beitrag, wie die Wettinger Zisterzienser ab 1227 auf der Klosterhalbinsel lebten, wie sie sich organisierten und Traditionen weiterpflegten.
von Annina Sandmeier-Walt
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Blick auf den Kreuzgang und die Konventbauten, also den Wohnbereich der Mönche, der Fremden verschlossen blieb. Bild: Kloster Wettingen, Marisstella vulgo Wettingen, Johann Franz Strickler, um 1720. © Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung. (Ausschnitt)
Unmittelbar nach der Gründung des Klosters begann der Kirchenbau und es entstand bis in die frühe Neuzeit ein komplexer Klosterbau mit Konventbauten, Kreuzgang, Gärten, Werkstätten und Mauern. Dabei gab es klare Trennungen von Bereichen für Laien und Geistliche. In der Kirche beteten die Konversen (Laienbrüder) und die geweihten Mönche getrennt, auch die Schlafräume waren separat. Die Klausur, der innere und nach aussen abgeschlossene Bereich des Klosters, war nur für Mönche zugänglich, Gäste hatten keinen Zutritt.

Ideal und Wirklichkeit
Das klösterliche Ideal der Bescheidenheit, das die Zisterzienser ursprünglich verfolgten, rückte angesichts realer Umstände in Wettingen wie anderorts zusehends in den Hintergrund. Das Kloster erwarb bald weitläufigen Grundbesitz im Limmattal, ferner in Uri, Zürich und Basel. Vor Ort hatte es bis 1798 zudem die Niedere Geschichtsbarkeit sowie Jagd- und Fischereirechte inne. Doch auch klosterintern gab es vom Mittelalter bis in die Neuzeit Verschiebungen der Aufgaben. Während weniger Konversen eintraten und das Land grösstenteils verpachtet wurde, verlagerten sich die Aufgaben der Mönche zunehmend auf Bildung sowie Seelsorge in Pfarreien und Frauenklöstern. So unterstanden sämtliche Zisterzienserinnenklöster der Ost- und Zentralschweiz für eine gewisse Zeit dem Wettinger Abt. Mit der Gründung einer eigenen Schule für Philosophie und Theologie 1604 legte die Abtei mehr Wert auf die wissenschaftliche Betätigung der Mönche.
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Plan des Klosters Frauenthal aus dem 18. Jahrhundert. Das Kloster Wettingen übernahm 1586 die geistliche Leitung des Zisterzienserinnenklosters. Bild: Zentralbibliothek Zürich, MK 2164 (https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-16027).

Teil von Kongregationen
Das mittelalterliche Filialsystem der Zisterzienserklöster wurde in der Neuzeit nach und nach durch Kongregationen – also einem Klosterverband selbständiger Klöster – abgelöst. Wettingen gehörte zur Oberdeutschen Zisterzienserkongregation und stand nach deren Auflösung der 1806 enstandenen Schweizerischen Zisterzienserkongregation vor. Mit der Aufhebung des Klosters Wettingen durch den Kanton Aargau 1841 und der Übernahme des Klosters Mehrerau bei Bregenz 1854 mussten die Mönche ihren Platz im Orden der Zisterzienser erst wieder finden. Ende des 19. Jahrhunderts gründete das Kloster eine eigene Kongregation, die heute den Namen «Zisterzienserkongregation von Mehrerau» trägt und deren Vorsitz der Abt von Wettingen-Mehrerau führt.
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Erinnerungskartusche im grossen Tafelsaal des Klosters Wettingen-Mehrerau. Die Abbildung zeigt das Kloster Wettingen. Bild: Annina Sandmeier-Walt.

Erinnerungen und Tradition in Mehrerau
Ein Blick in die Webseite des Klosters Wettingen-Mehrerau zeigt: Noch immer ist der Alltag der Mönche von 5:45 Uhr bis abends um 19:30 Uhr geprägt von den Gebetszeiten und der Messe. Und noch immer tragen sie den zweifarbigen Habit, der sie als Zisterzienser erkennbar macht. Auch Wettingen ist im am Bodensee gelegenen Kloster noch immer präsent. Von ihm zeugen Malereien von der Klosterhalbinsel und Gemälde von Wettinger Äbten aber auch Traditionen wie das Totengedenken, das samstägliche Salve Regina sowie das Gedenken der Katakombenheiligen Marianus und Getulius in der Vesper.


«Wandelnde Zebrastreifen» – Wer sind die Zisterzienser? (Teil 1)

28/4/2024

 
Ihre Ordenstracht lässt Mönche in der Gesellschaft auffallen. Doch was heisst es, als Mönch in einem Kloster zu leben? Am Beispiel der Zisterzienser von Wettingen gehen wir dieser Frage nach.
von Annina Sandmeier-Walt
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Mönch im Detail der Aussenansicht der Klosteranlage Wettingen von Johann Rudolf Rahn, datiert am 23. Oktober 1860. Der gezeichnete Zisterziensermönch dient nur der Illustration, denn die Mönche hatten das Kloster bereits 1841 verlassen. Bild: Zentralbibliothek Zürich, Rahn XI, 62.
Der Ausdruck «Wandelnde Zebrastreifen» im Zusammenhang mit Zisterziensermönchen stammt nicht etwa von einem Kritiker der Klöster. Er ist der Titel eines Anekdotenbuchs des Altabts des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz in Österreich. Das Zitat zielt darauf ab, was Mönche in der Gemeinschaft mit anderen Menschen sichtbar machte und oft noch immer macht: den Habit – die Tracht einer Ordensgemeinschaft. Im Fall der Zisterzienser sind es eine weisse Tunika, ein Untergewand, und darüber, als Obergewand, ein schwarzes Skapulier.
Doch einheitliche Kleidung sind nur äussere Zeichen einer klösterlichen Gemeinschaft. Wer sind die Zisterzienser, die sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Wettingen niederliessen? Nach welchen Regeln lebten sie und wie gestalteten sie ihren Alltag?
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Zisterziensermönche in der zweifarbigen Ordenstracht, hier abgebildet auf dem Cover des Buchs «Wandelnde Zebrastreifen» von Altabt Gregor Henckel Donnersmarck vom Zisterzienserkloster Heiligenkreuz. Die Zisterziensermönche schreiten in Manier der Beatles über die Abbey Road.
Leben in Klöstern
Klöster bezeichnen nicht nur Bauten, sondern in der Römisch-katholischen Kirche klar organisierte Gemeinschaften mit strukturiertem Alltag. Wer zu ihnen gehören will, muss oft mehrere Gelübde ablegen, darunter die Verpflichtung zum Gehorsam, zur Enthaltsamkeit und Armut. Zum Funktionieren und Überleben der Klöster trugen ihre Ausstattung mit Ländereien und Rechten sowie ihre innere Organisation bei. In dieser hat jedes Mitglied eine Aufgabe: Der Abt repräsentiert die Klostergemeinschaft nach aussen, Novizenmeister bilden den Nachwuchs aus, Pförtner regeln den Einlass in den Klosterbezirk, um nur einige Beispiele zu nennen. Zum klösterlichen Alltag gehören neben Arbeit und Lesung in einem bestimmten Rhythmus stattfindende Gebetszeiten. Neben der Messe wird das Chorgebet, das auf Psalmen basiert, gepflegt. In Wettingen sah ein Tagesablauf um 1642 folgendermassen aus:
Mitternacht: Metten und Matutin, dann bis halb 6 Uhr Nachtruhe I.
6 Uhr: Prim, Betrachtung, Einzelmessfeiern
7 Uhr: Exhorte im Kapitelsaal und Totengedenken, eventuell Beichte
8 Uhr: Terz, Konventamt
9 Uhr: Sext und je nach Jahreszeit Non
10 Uhr: Prandium (Mittagsmahl) bei Stillschweigen und Tischlesung; bis gegen 12 Uhr Rekreation mit ehrbarem (honestus) Spiel, Musik, sittsamen (modestus) Gesprächen oder Gartenarbeit
12 Uhr: Non, dann auf der Zelle Studium, Arbeit
15 Uhr: Vesper, dann wieder Arbeit, Studium
17 Uhr: Caena (Nachtessen), anschliessend wieder Rekreation oder Predigt
19 Uhr: Komplet, Studium, Gebet und Nachtruhe II bis 23.30 Uhr
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Zentral im Alltag der Mönche ist das Gebet. Das Chorgebet wurde in Wettingen ab dem frühen 17. Jahrhundert im reich geschnitzten, zweireihigen Chorgestühl abgehalten. Dort hatten die Mönche eine feste Sitzordnung. Bild: Ruth Wiederkehr.
Reform und Ideal
Als mit Bonmont bei Nyon zu Beginn des 12. Jahrhunderts das erste Kloster in der Schweiz zisterziensisch wurde, gab es auf dem Gebiet der heutigen Schweiz bereits Klöster des Benediktinerordens, also Klöster die der Regel des Heiligen Benedikts folgten, sowie Klöster mit Augustinerregel.
Der Name «Zisterzienser» leitet sich wohl vom Namen des ersten Zisterzienserklosters ab, das 1098 in Frankreich gegründet wurde: Cîteaux. Zisterzienser entstanden als Reformbewegung der Benediktiner. Sie wollten die Benediktsregel strenger befolgen, das Feudalsystem überwinden und einen einfachen Lebensstil führen. Das ideale Zisterzienserkloster sollte Mönchen und Nonnen daher eine Selbstversorgung ermöglichen. Zentral waren demnach Zugang zu Wasser, Gartenanlagen für den Anbau von Nahrungsmitteln und handwerkliche Betätigung. Für diese Arbeiten gab es neu Laienbrüder im Kloster – Konversen genannt. 
Anders als die Benediktinerklöster waren die Niederlassungen der Zisterzienser eingebunden in ein Filialsystem, an dessen Spitze das Mutterkloster Cîteaux stand. Dies trug zur raschen Expansion in ganz Europa bei: Um 1300 gab es hier rund 750 Klöster. Das Kloster Wettingen wurde 1227 von Mönchen aus Salem, aus der Linie von Morimond, gegründet. Zwölf Mönche aus diesem Kloster bauten auf der Wettinger Halbinsel eine klösterliche Gemeinschaft auf.

«Leute dieses Schlages dürfen nicht dem Lehrerstande zugeführt werden»

1/4/2024

 
Schon Seminardirektor Augustin Keller war um die Disziplin der jugendlichen «Zöglinge» besorgt. Trotzdem war der Schulalltag immer wieder durch Disziplinarfälle beeinträchtigt, welche auch die Erziehungsdirektion beschäftigten.
von Hansjörg Frank
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Das Lehrerseminar Wettingen auf einer Postkarte. Datum unbekannt, wahrscheinlich um 1900. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Ans_02300-001.
1925 fand eine mehrtägige Schulreise einer 2. Klasse des Wettinger Lehrerseminars ins Gotthardgebiet statt. Die Seminaristen sollten die Geografie der Schweiz kennenlernen. Allerdings waren die beiden Leiter dieser Mission gezwungen, das Vorhaben bereits nach dem ersten Tag abzubrechen. Auf Grund starken Regens kam die Klasse schon durchnässt auf dem Gotthardhospiz an. Die nassen Kleider vermochten bis zum Morgen nicht zu trocknen. Deshalb entschloss man sich zu einer Programmänderung, da an eine Besteigung des Monte Prosa witterungsbedingt nicht zu denken war. Es wurde beschlossen, stattdessen nach Airolo abzusteigen. Dort angekommen, war nur eine kleine Gruppe willens, einen Spaziergang nach Altanca zu machen. Der Rest der Klasse blieb etwa 5 Stunden bis zur Abfahrt des Zuges unbeaufsichtigt in Airolo zurück.
 
Jugendlicher Übermut
Die Jugendlichen «verzogen sich meist in Wirtschaften, tranken dort Chianti, schrieben. Ansichtskarten und jassten. Eine Gruppe geriet durch zu reichlichen Chianti-Genuss in die Stimmung, aus der heraus der Bubenstreich verübt wurde, von dem nun zu berichten ist.» Vier Zöglinge beschlossen nach reichlichem Alkoholgenuss, einem daheimgebliebenen Lehrer und dem Verwalter des Konvikts in Wettingen Postkarten zu schreiben. Unter den Verfassern war auch einer, der dem Lehrerkonvent «bereits als zweifelhafter, der ständigen Überwachung bedürftiger Schüler bekannt war. Er hat sich z.B. erst kürzlich den „Spass" geleistet, vom Brücklein beim Seminar auf ein Auto hinunterzuspucken.»  
 
Das Corpus Delicti
In einem Dossier des Staatsarchivs Aargau mit umfangreicher Korrespondenz von Lehrerkonferenz und Erziehungsdirektion sind diese beiden Postkarten noch heute greifbar.
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Postkarte von der Schulreise. Instagram anno 1925? Bild: StAAG, DE02/1261.
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Zweite Postkarte von der Schulreise ins Gotthardgebiet. Bild: StAAG, DE02/1261.
In der Zeit der «Roaring Twenties» waren diese Karten Anlass genug, dass die Lehrerkonferenz bei der Erziehungsdirektion die Wegweisung, resp. die Androhung der Wegweisung der betroffenen Seminaristen beantragte mit der Begründung, dass «Leute dieses Schlages […] nicht dem Lehrerstande zugeführt werden [dürfen]».
Die beschriftete Rückseite der Postkarten zeugt von einem nicht mehr nüchternen Zustand der Verfasser. Ausserdem wird Internatsverwalter Fritschi als «Nachtwächter» bezeichnet und im Text wird offensichtlich beklagt, dass durch ihn bei verschlossenen Türen Kontrollen in den «Buden» durchgeführt wurden, was aus heutiger Sicht als übergriffig zu beurteilen wäre.
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Per Bahnpost verschickt: Karte an «Nachtwächter» Fritschi. Bild: StAAG, DE02/1261.
Pädagogische Praxis
Es ist hier nicht der Ort, die Richtigkeit der Entscheide der Lehrerkonferenz zu beurteilen. Interessant ist hingegen der Massstab, der jeweils angesetzt wurde. Für die Schulleitung waren oft weniger die objektiven «Vergehen» massgebend, sondern die Frage, ob ein solches Verhalten für einen angehenden Lehrer noch tragbar sei. Diese Haltung findet auch bei der Beurteilung der schulischen Leistungen Ausdruck. Immer wieder gaben die Aufnahmeverfahren ins Lehrerseminar Anlass zu Diskussionen. Aber auch hier waren die Softskills oft massgebender als die effektiv erbrachten schulischen Leistungen. So schreibt Seminardirektor Arthur Frey 1947 in einer Erinnerungsschrift: «Wenn die Leistungen nicht voll genügten, der Schüler aber durch seine Wesensart Anlagen für den Lehrerberuf verriet, so entschied man sich gerne für die Belassung in der Klasse.»

Das Wettinger Heilbad im Zugerland

23/3/2024

 
Eigentlich war das Kloster Wettingen ideal gelegen. In der nahen Bäderstadt hätten die Mönche regelmässig kuren können. Darüber lässt sich aber wenig erfahren. Bekannter hingegen ist, dass Wettingen einen klostereigene Kurort im Zugerland hatte.
von Ruth Wiederkehr
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Blick auf das Bad Walterswil im Jahr 1706. Das Herrschaftshaus im Zentrum war zu diesem Zeitpunkt ein Jahrzehnt alt. Heute heisst es Wettingerhaus. Bild: ZBZ, Grafische Sammlung, STF XIV, 112, 10.2931/e-rara-42799.
Dass Mönche und Nonnen Thermalbäder genauso wie alle anderen Menschen genossen, ist seit dem Mittelalter gut überliefert. Neben Gebet und Arbeit waren sie nämlich auch der cura corporis, der Sorge um ihren Körper, verpflichtet. Das galt auch für das Kloster Wettingen: In den Statuten, die 1655 für die Zisterzienser in Süddeutschland und der Schweiz verabschiedet wurden, gab es eigens den Abschnitt de balneis, «von den Bädern». Sie definieren, wann ein Mönch eine Badekur machen darf: mit Erlaubnis des Abts zu gesundheitlichen Zwecken.
 
Verwalter im Bad
Ab dem 17. Jahrhundert betrieb Wettingen in Walterswil bei Baar ein eigenes Bad. Der Hof an der Baarburg verfügte über eine kalte mineralhaltige Quelle und war wohl in den 1620er-Jahren durch Abt Peter Schmid (1559–1633) an das Kloster gelangt. Eine Kaufurkunde ist nicht überliefert, doch ist bekannt, dass Mitte des 17. Jahrhunderts der Baarer Jakob Andermatt (1602–1680) für das Kloster Wettingen den Hof, die Kapelle und das Bad Walterswil verwaltete. Am 29. Juli 1651 schrieb er in sein Tagebuch, dass er nach der Messe zwei Stunden gebadet habe: «Got welli, das disi badenfart mir dienstlich sigi zuo sel und lib. Amen.» Er habe in der laufenden Saison – damit war der Sommer gemeint – «badet 329 ½ stund». Die vielen Badekuren könnten einen positiven Einfluss auf ihn gehabt haben: Er starb mit 78 Jahren, einem im 17. Jahrhundert sehr hohen Alter.

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Postkarte von Walterswil zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals war Walterswil ein Kinderheim. Das Wettingerhaus im Zentrum des Weilers ist gut erkennbar. Bild: Staatsarchiv Zug, Privatbestand Stiftung Don Bosco, P.302.9.8.
Lob des Wassers
In späteren Jahren waren jeweils Patres von Wettingen als Verwalter in Walterswil tätig. Den besten Beschrieb des Bads lieferte der Zürcher Arzt und Naturwissenschaftler Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) im Jahr 1706. Er widmete den Quellen an der Baarburg einen längeren Abschnitt in seinen Beschreibungen der Bäder des Alpenraums und lobte die Qualität des Wassers. Auch lässt sich von Scheuchzer erfahren, dass Personen aus den oberen Schichten aus Zug, Zürich, Luzern, aber auch Schaffhausen nach Walterswil kamen.
 
Herrschaftssitz bis 1755
Ende des 17. Jahrhunderts hatte das Kloster Wettingen das Bad Walterswil ausbauen lassen. Der kleine Kurort bestand nun aus einer neuen Kapelle, einem dreistöckigen Herrschaftshaus mit Ziergarten, einem Badhaus, einem Stall für die Pferde und einem Bauernhaus. Hier liess es sich für mehrwöchige Sommerkuren mit stundenlangen Bädern tagsüber gut leben.
In den 1750er-Jahren schliesslich gefiel es den Zugern nicht mehr, ein Kloster aus der Grafschaft Baden als Besitzer von Land an der Baarburg zu wissen. Sie forderten Walterswil zurück – und in langwierigen Diskussionen entstand schliesslich ein Tauschgeschäft. Ab 1755 war Walterswil nicht mehr Wettinger Boden.
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Das Wettingerhaus nach seiner Sanierung im Jahr 2001. Bild: Staatsarchiv Zug, Privatbestand Stiftung Don Bosco, P 302.7.119.
Weiterlesen: Ruth Wiederkehr, Philippe Bart, Alfred Borter, René Zihlmann: Ort der Heilung, Ort der Bildung. Die Geschichte von Walterswil bei Baar. Zug 2022.

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Die neue Klostergeschichte Wettingen ist ein Projekt des Vereins Freunde des Klosters Wettingen und wird durch folgende Institutionen unterstützt:
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Marlis und Hans Peter Wüthrich-Mäder-Stiftung
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