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Die Französische Invasion von 1798 in Wettingen war gewaltsam. Ein Bericht des Klosterverwalters lässt heute noch erleben, wie «Flucht und Schrecken» in Wettingen Einzug hielten. von Jaro Kerschbaum Blick über die Limmat zum Kloster Wettingen, dem Zollhaus, dem dahinter liegenden Kanzlerhaus und der 1767 errichteten Brücke. Die von Hans Ulrich Grubenmann erbaute Holzbrücke wurde 1799 von französischen Soldaten angezündet und brannte ab. Zeichnung von Johann Balthasar Bullinger um 1770. (Bild: Zentralbibliothek Zürich, ZEI 5.32) Die Glocken läuten und von der Kantonsschule strömen Schüler und Schülerinnen heraus und machen sich schwatzend auf den Heimweg. Ein schöner Nachmittag in Wettingen im Sommer, die Sonne scheint, es ist angenehm draussen. Vermutlich war das Wetter ähnlich im Frühling 1798, an den sich der Klosterverwalter Benedikt Geygis Jahre später in einer Schrift erinnerte. Die politische Lage allerdings war ganz anders: «Bei dem schönsten Wetter arbeitete niemand», schreibt er. Niemand sei vor «Furcht und Schrecken auf den Strassen» gewesen. Wettingen befand sich in jenem März 1798 im Zentrum von Kriegswirren. Krieg kommt nach Wettingen Nach der Französischen Revolution kam es auch in der Schweiz zu Umstürzen, bei denen die Alte Eidgenossenschaft kollabierte und die Helvetische Republik ausgerufen wurde. Anschliessend war die Schweiz in den Koalitionskriegen das Schlachtfeld von Franzosen, Österreichern und Russen. Wettingen befand sich mitten in diesem Gefecht. Das Zisterzienserkloster lag an der Kreuzung von zwei Verkehrsachsen und neben einer zentralen Limmatbrücke, weshalb es eine wichtige Rolle einnahm. Wie das Kloster und seine Einwohner und Einwohnerinnen dabei in Mitleidenschaft gezogen wurden, will Benedikt Geygis in seiner «Geschichte des Gotteshauses Wettingen in der Revolution» zeigen. Sein Bericht erlaubt uns einen spannenden Einblick in die Vergangenheit und eine Sicht auf bekannte Orte in Wettingen aus der Warte eines Mönchs. Über ruppige Soldaten Wir beginnen im ehemaligen Abteisaal. Heute findet hier Unterricht für Gymnasiasten und Gymnasiastinnen statt, doch vor 220 Jahren war dies der Speisesaal der Mönche. Geygis schildert hier seine erste Begegnung mit Soldaten. Nachdem es Ende April 1798 zu mehreren Bauernaufständen in der ganzen Schweiz gekommen war, rief die Stadt Zürich französische Truppen zu Hilfe. Am 26. April kamen diese in Wettingen vorbei und drängten in den Abteisaal, während die Mönche zu Mittag assen. Sie forderten Wein und Schnaps, welchen sie, laut Geygis, «mitnahmen, auf dem Weg aus soffen und auf die Strassen und Felder hinwarfen, sodass man Morgens darauf von Mellingen bis Zürich aller Orte eine Menge solcher Geschirre noch ganz oder zerbrochen liegen fand». Dies war die erste von vielen negativen Erfahrungen mit den Franzosen, von denen Geygis berichtete. Lange Zeit mussten die Mönche französische Soldaten auf eigene Kosten im Kloster beherbergen, und viele der Mönche waren gezwungen, aus dem Kloster auszutreten. Daneben wurden sie genötigt, eine «Contribution» von 100 000 Franken zu zahlen. Generäle im Lehrerzimmer Ein Jahr später rückte die österreichische Armee von der Ostschweiz her gegen die Franzosen vor. Die französischen Generäle versammelten sich zum Kriegsrat im Vorzimmer des Abts, wo sich heute die Schulleitung der Kantonsschule Wettingen für Sitzungen trifft. Als konservativer Katholik zeichnet Geygis die revolutionären Franzosen äusserst negativ. So beschreibt er den französischen Kommandanten Rapinot als einen frechen, ungehobelten Ausbeuter und sagt von ihm, er «betrug sich und handelte in allen Stüken nach seinem Namen Rapinot oder Räuber». Dagegen wird der erzkatholische Erzherzog Karl von Österreich, der später das Kloster besetzen würde, als «sehr mild, liebreich und freundlich» beschrieben, der ihnen «immer frohe und gute Tage» ermöglicht habe. Ausschnitt aus einer Karte, die Stellungen der Russen (blau) und der Franzosen (rot) im Limmattal zeigt, 1799, oben links das Kloster Wettingen. Aus: Fridolin Becker: Croquis der Zweiten Schlacht bei Zürich 1799. Beilage zu Wilhelm Meyer: Die Schlacht bei Zürich am 25. und 26. September 1799. F. Schultheß, Zürich 1886. (Wikipedia) Brennende Brücken und kein Ende in Sicht Kurz nach ihrem Kriegsrat verliessen die Franzosen das Kloster und überquerten die Limmat in Richtung Süden. Heute gibt es in Wettingen eine ganze Reihe von Brücken, doch zur Zeit Geygis’ gab es nur eine: die heutige Holzbrücke beim Kloster. Diese zündeten die Franzosen bei ihrem Rückzug mitten in der Nacht an, sodass sie bis in die frühen Morgenstunden brannte. Im Zuge der weiteren Revolutionskriege bis 1815 war die Schweiz immer wieder Schauplatz von Schlachten zwischen den Grossmächten und Wettingen blieb dabei ein wichtiger Durchgangsposten. Wechselweise wurden hier österreichische, russische und wieder französische Truppen einquartiert. Wer heute durch Wettingen bummelt, dem scheint Krieg weit entfernt und unvorstellbar. Doch wie der Gang durch Wettingen mit dem Mönch Benedikt Geygis gezeigt hat, wurde selbst in dieser friedlichen Kleinstadt kriegerische Geschichte geschrieben. Weiterlesen: Geygis, Benedikt: Geschichte des Gotteshauses Wettingen in der Revolution, in: Cistercienser Chronik 5 (1893), S. 1–13, 33–46, 65–76. Geygis, Benedikt, in: Biographia Cisterciensis (Cistercian Biography), Version vom 18.12.2018. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums «Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Der Autor Jaro Kerschbaum studiert Geschichte in Zürich.
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