Die Benediktsregel umfasst zahlreiche Kapitel zum Zusammenleben der Mönchsgemeinschaft. Dazu gehören auch Abschnitte zu den Speisen. Ein Küchenbesuch bei Abt Ulrich Meyer. von Julian Bretschger Im Jahr 1687 liess der damalige Abt des Klosters Ulrich Meyer (Abt von Wettingen 1686–1694) eine Abschrift einer Regel zu Pergament bringen. Es war eine Benediktsregel – also das zentrale Regelwerk für das Zusammenleben der Mönche, dem sich auch die Zisterzienser in Wettingen verschrieben hatten. Die Benediktsregel enthält neben ganz vielen anderen Vorschriften auch Regeln zum Essen und Trinken der Mönche. In der Klosterküche Beginnen wir ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie seien im Kloster Wettingen des 17. Jahrhunderts für die Verpflegung zuständig. Neben der Benediktsregel gibt es natürlich noch andere Verhaltensregeln – wir orientieren uns heute aber an der «Regula Benedicti», wie die Regel auf Latein heisst. Ausserdem sind wir uns bewusst, dass die Zisterzienser im 17. Jahrhundert die Benediktsregel teilweise nicht ganz strikt befolgten. Wir reisen nun in die Küche des Klosters Wettingen im Jahr 1690 und sollen die wichtigsten Regeln zum Essen und Trinken der Mönche kennenlernen, um diese für einige Zeit zu verpflegen. An einem sonnigen Tag stehen wir vor dem Kloster. Wir sind mit Abt Ulrich Meyer verabredet und melden uns beim Pförtner. Dieser führt uns in das kühle Klosterinnere, wo wir uns setzen. Nach einer kurzen Wartezeit begrüsst uns der Abt und führt uns durch die Gänge des Klosters zur Küche. Unter dem Arm trägt er seine persönliche Benediktsregel, in der auf Pergament alle wichtigen Vorschriften für das Alltagsleben der Mönche festgehalten sind. In der Küche angekommen, öffnet der Abt sein Buch und blättert bis zu einer Seite, auf der bei Nummer 39 die Überschrift «De mensura ciborum» in schwarzer Schrift zu erkennen ist. Dies bedeutet «Über das Mass der Speisen». Ein Pfund Brot pro Tag Nun beginnt der Abt zu erklären. Aus Rücksicht auf die Schwäche der Brüder seien für die tägliche Hauptmahlzeit für jeden Tisch zwei gekochte Speisen genug. Wer von einer dieser Speisen nicht essen könne, solle sich mit der anderen sättigen. Zu diesen zwei gekochten Speisen könne frisches Gemüse oder Obst hinzugefügt werden. Und der Abt fährt fort: «Ein gut gewogenes Pfund Brot soll pro Tag genügen, ob es nun nur eine Mahlzeit wie an Fasttagen oder ein Mittag- und ein Abendessen gibt. Wenn die Brüder auch ein Abendessen einnehmen, soll der Cellerar ein Drittel von diesem Pfund aufbewahren, um es ihnen am Abend zu geben.» Der Cellerar kümmerte sich um die wirtschaftlichen Belange des Klosters. Keine vierfüssigen Tiere – und keine Unmässigkeit Abt Ulrich kommt anschliessend auf eine Regel zu sprechen, die ihn als Abt selbst betrifft: Sei die Arbeit anstrengender gewesen, so könne der Abt entscheiden, ob er etwas mehr geben wolle, falls es nützlich sei. Darauf liest er noch die Regel zum Fleischkonsum vor: «Auf den Verzehr von Fleisch vierfüssiger Tiere aber sollen alle gänzlich verzichten, ausgenommen die ganz schwachen Kranken.» Schliesslich kommt Abt Ulrich auf die Unmässigkeit zu sprechen: «Doch gilt es vor allem, Unmässigkeit hintanzuhalten, und nie darf sich beim Mönch Übersättigung einstellen, weil sich für einen Christen nichts weniger ziemt als Unmässigkeit.» Diese Mässigung liege denn auch der nächsten Regel zugrunde, sagt er weiter: Knaben in jüngerem Alter sollten weniger als Erwachsene erhalten, wobei man überall auf Mässigung achten solle. Eine Hemina Wein pro Tag Abt Ulrich blättert eine Seite weiter in seiner Benediktsregel bis zum Kapitel 40 «De mensura potus», «Über das Mass des Trinkens». Er erklärt zunächst, die Benediktsregel sei ziemlich zurückhaltend bei der Bestimmung der exakten Mengen. Allerdings schreibe sie in Anbetracht der Unzulänglichkeit der Schwachen vor, dass für einen jeden eine Hemina Wein pro Tag genug sei. Eine Hemina? Dabei handelt es sich um etwa 0.27 Liter. Der Abt holt ein entsprechend grosses Gefäss hervor und drückt es uns in die Hand. Es stehe aber weiter in der Regel, betont er, wer dank Gott imstande sei, Enthaltsamkeit zu ertragen, der solle wissen, dass er besonders entlöhnt werde. Ob mehr erforderlich sei, etwa wegen schlechter Ortsverhältnisse, Arbeit oder Hitze im Sommer, entscheide jeweils der Obere (wohl generell Mönche mit höheren Ämtern). Dieser achte aber bei allen darauf, dass keine Übersättigung oder Trunkenheit auftrete. Die Mönche sollten nicht zu viel trinken. Sie sollten aber auch das Murren unterlassen, sollte einmal weniger als eine Hemina Wein aufzutreiben sein, sagt Abt Ulrich zum Schluss betont. Meyer klappt sein Buch zu und fragt: «Haben Sie alles verstanden?» «Ja», sagen wir. Er nickt und fordert uns dazu auf, mit den Vorbereitungen für die Verpflegung zu beginnen. «Die Brüder arbeiten momentan hart im Garten.» Nach der Mittagshore müsse das Essen bereit sein. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums «Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Der Autor, Julian Bretschger, studiert im Bachelor Geschichte und Soziologie. Schwerpunkte seines Studiums liegen in den Bereichen Geschlechter- und Schweizer Geschichte sowie Geschichte der Antike.
|
AuthorWrite something about yourself. No need to be fancy, just an overview. Archives
August 2025
Categories |