Heute kaum vorstellbar, in der Frühen Neuzeit aber selbstverständlich: Klöster besassen grosse Herrschaftsgebiete. Äbte wie Ulrich Meyer aus dem Kloster Wettingen traten als Eigentümer und Richter auf. Ihren Besitz liessen sie kartografieren.
von Valerija Vlasic
Ungefähres Herrschaftsgebiet des Klosters Wettingen im Limmattal anhand der kartografischen Quelle «Geometrischer Grund-Riss aller Marken der Gerichts-Herrlikeit dess Gottshauses Wettingen […]». Visualisierung erstellt von Valerija Vlasic mittels ArcGIS.
Armut, Arbeit, Abgewandtheit – diese Ideale bestimmten das Selbstverständnis des Zisterzienserordens. Dennoch entwickelten sich viele Klöster in der Frühen Neuzeit zu bedeutenden wirtschaftlichen und territorialen Institutionen. Was zunächst widersprüchlich oder überraschend wirkt, folgt einer Logik: Die gezielte Akkumulation von Macht, Grundbesitz und Einnahmen diente der Absicherung des geistlichen Lebens. So verfügte auch das Kloster Wettingen über ausgedehnte Besitzungen, Herrschaftsrechte und Einkünfte im Limmattal - dies zeigt auch eine Karte aus dem 17. Jahrhundert.
Fromme Logik der Besitzmehrung
Die Zisterzienser beriefen sich ursprünglich auf die Benediktsregel und strebten nach Armut, Einfachheit und Weltabgewandtheit. Im 11. und 12. Jahrhundert galt der Verzicht auf Reichtum als zentrales Ideal. Doch im Laufe der Zeit veränderte sich die Praxis. Ursprüngliche Bestimmungen wie das Verbot von Schenkungen, Eigentum und regelmässigen Einkünften wurden umgedeutet. Mönche sollten nicht mehr in völliger Armut leben, sondern lediglich auf persönlichen Besitz verzichten. Für ihre Grundversorgung sollte die Klostergemeinschaft aufkommen. Diese veränderte Auslegung ebnete den Weg zur Besitzkonsolidierung: Auch Zisterzienserklöster begannen, gezielt Land und Rechte zu sammeln. Sie nutzten ihre Güter, um wirtschaftliche Grundlagen zu sichern und regelmässige Einkünfte zu erwirtschaften. Wichtige Einnahmequelle waren die Abgaben der abhängigen Dörfer in Form von Naturalien oder Geld.
Wettinger Äbte regieren im Limmattal
Mit zunehmendem Besitz wuchs auch der Einfluss der Klöster. Sie entwickelten sich zu wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Zentren ihrer Region. Dieser Aufstieg brachte den Klöstern Ansehen und Macht, führte aber auch zu neuen Spannungen mit benachbarten weltlichen und geistlichen Herrschaften. Auch das Zisterzienserkloster Wettingen baute sich im Laufe der Zeit ein eigenes Herrschaftsgebiet auf. Zunächst besass das Kloster verstreuten Grundbesitz in Zürich, Uri und Zug. Noch heute erinnern die Wettingerhäuser am Limmatquai in der Stadt Zürich an diesen Besitz. Mit der Zeit konzentrierten sich die Äbte jedoch darauf, in der näheren Umgebung, vor allem im Limmattal, ein geschlossenes Territorium zu schaffen. Durch Kauf, Schenkung oder Tausch erwarb das Kloster Wettingen systematisch Land und schloss bestehende Lücken.
Der Kleinstaat Wettingen
Neben kirchlichen Rechten, etwa der Mitbestimmung bei der Ernennung von Pfarrern, den Kollaturrechten, verfügte das Kloster auch über weltliche Herrschaftsrechte. Die sogenannte «Gerichtsherrlichkeit» bezeichnete jene Gebiete, in denen der Abt als Gerichtsherr auftrat und Recht sprach. Damit übernahm der Abt nicht nur geistliche Aufgaben, sondern auch Verwaltungs- und Repräsentationspflichten. Um diese umfangreichen Aufgaben zu bewältigen, baute das Kloster einen eigenen Beamtenapparat auf. Wettingen übte die niedere Gerichtsbarkeit aus, die juristische Fragen rund um Besitz, Verträge und kleinere Delikte umfasste – vergleichbar mit dem heutigen Zivilrecht. Die hohe Gerichtsbarkeit oder Blutgerichtsbarkeit blieb hingegen übergeordneten Instanzen vorbehalten, den Schirmherren wie dem Landvogt oder der Eidgenossenschaft. Sie urteilten über schwere Verbrechen wie Mord oder Raub. So entstand im Limmattal ein Kleinstaat, der dem Kloster Wettingen unterstand. Die dort lebenden Menschen waren dem Kloster zu Treue, Diensten und Abgaben verpflichtet. Über die genaue Zahl der Untertanen gibt es zwar keine verlässlichen Angaben. Doch in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht konnte das Kloster Wettingen durchaus mit dem Adel der Region mithalten – und übertraf ihn in manchen Bereichen sogar.
Kartografie als Machtinstrument
Eine anschauliche Darstellung des klösterlichen Herrschaftsgebiets im Limmattal bietet eine Karte aus dem späten 17. Jahrhundert. Auf ihr sind auch 57 Grenzsteine vermerkt, die das Territorium wie eine Wegmarkierung umschreiben. Im erklärenden Text auf der Karte heisst es: «Von dar bis an die Brugg zu Baden gehört die ganze Limmat sambt ihren Auwen Wettingen zu/ laut Kauffbrieffs von anno 1259.» Entstanden ist sie 1693 in der Zeit von Abt Ulrich Meyer (Abt 1686–1694). Angefertigt wurde sie in der klostereigenen Druckerei unter der Leitung des berühmten Schweizer Kartografen Hans Konrad Gyger (1599–1674) und unter Mitwirkung Wettinger Mönche. Solche Karten entstanden häufig im Zusammenhang mit Grenzstreitigkeiten. Vermutlich auch hier, da das Kloster Wettingen wiederholt mit der benachbarten Grafschaft Baden und dem Kloster Einsiedeln um Schifffahrts- und Fährrechte stritt. Eine der Reproduktionen dieser Karte hing im Kloster Wettingen gar an der Wand. Dies zeigt, dass Karten nicht nur praktische Verwaltungsinstrumente waren, sondern auch der Repräsentation und Selbstdarstellung der Äbte dienten. Die Karte belegt damit eindrücklich die regionale Bedeutung und das Selbstbewusstsein des Klosters Wettingen in dieser Zeit. Mit dem Einmarsch französischer Truppen und der Ausrufung der Helvetischen Republik im Jahr 1798 endete die weltliche Herrschaft des Klosters, die kirchlichen Rechte blieben jedoch erhalten.
Weiterlesen:
Anton, Kottmann; Markus, Hämmerle: Die Zisterzienserabtei Wettingen. Geschichte des Klosters Wettingen und der Abtei Wettingen-Mehrerau. Baden 1996. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums «Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Die Autorin Valerija Vlasic studiert Geschichte in Zürich. Ihre Schwerpunkte sind die Geschichte der Frühen Neuzeit, die osteuropäische Geschichte, die Kulturgeschichte sowie Digital History. |
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September 2025
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