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Im Jahr 1661 legte ein besonders produktiver Schreiber im Kloster Wettingen sein Gelübde ab: Wilhelm von Reding. Trotz gesundheitlichen Problemen verfasste er über fünfzig Schriften. Darunter befindet sich auch ein kleiner, unscheinbarer Heiligenkalender. von Natalie von Riedmatten Die Feder kratzt über das Papier. Sie hinterlässt kleine, geschwungene Buchstaben, die nach und nach ein Zitat des heiligen Bernhard von Clairvaux formen. Wilhelm von Reding, der Mann, der hier gerade im Schreiben begriffen ist, lächelt, als er eine Seite vollendet. Gleich wendet er sich der nächsten Seite zu, doch plötzlich beginnt seine Hand zu zittern. Die Feder lässt sich nicht mehr richtig kontrollieren. Aber von Reding möchte noch nicht aufgeben, schreibt langsam weiter und kämpft sich Wort für Wort vor, bis es nicht mehr geht. Er bricht ab. Die Zeile ist geschrieben, aber die krakeligen Buchstaben kleben zu eng aneinander. Er seufzt. Heute hat er mehr gemacht, als seine Gesundheit und Kräfte hergeben. Heilige Begleitung durchs Jahr So oder ähnlich wird es vielleicht ausgesehen haben, als Wilhelm von Reding im Jahr 1667 im Kloster Wettingen an seinem «Calendarium sanctorum ac Beatorii Ordinis Cisterciensis» schrieb. Wie es der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich um einen Kalender. Er misst etwa 14 auf 7 auf 4 Zentimeter, ist also schön handlich. Jeder Tag ist gleich aufgebaut und einem Heiligen gewidmet, selten sind es auch zwei. Dabei handelt es sich immer um zisterziensische Heilige und Selige. Am 25. April zum Beispiel wird der «Sancta Franca Virgo» gedacht, Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters in Piacenza. Am 22. Juli «Beatus Godefrid», einem französischen Mönch. Am 11. Oktober «Beatus Rodericus», dem Novizen, also «Mönchsanwärter», eines spanischen Klosters. Von antiken Märtyrern zu Wundertätigen Heiligenverehrung spielte und spielt eine wichtige Rolle im Katholizismus. Sie geht auf die Spätantike zurück, als Christen für das Festhalten an ihrer Religion hingerichtet werden konnten. Um diese Märtyrer rankten sich schon bald viele Geschichten, sie wurden für die Gläubigen zu Vorbildern. Nachdem das Christentum nicht mehr verfolgt wurde und sogar eine anerkannte Religion war, rückte die Wundertätigkeit von Heiligen in den Fokus. Unter all den Heiligen in von Redings Calendarium sticht besonders Bernhard von Clairvaux hervor. Jeder Tag im Kalender wird mit einem seiner Zitate abgeschlossen. Das hat mit dem Orden zu tun, dem von Reding angehörte: den Zisterziensern. Unter Bernhard von Clairvaux blühte zu Beginn des 12. Jahrhunderts Cîteaux, das erste Zisterzienserkloster, auf. Bald entstanden in ganz Europa Ableger und neue Klöster des Ordens. Die Zisterzienser lebten überall nach denselben Regeln und stellten ein einfaches Leben und ihre Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Deshalb sind auch alle Heilige des Kalendariums Zisterzienser. Adelsspross mit gesundheitlichen Problemen Wilhelm von Reding stammte aus der Familie der Redings von Biberegg. Der Historiker und Handschriftenbearbeiter Ruedi Gamper hat sich intensiv mit seiner Biografie beschäftigt. Er sagt: «Als Spross einer bekannten adligen Familie aus der Innerschweiz hätte er wohl Karriere machen sollen.» Ein Adliger nämlich wurde normalerweise kein einfaches Ordensmitglied, sondern Abt, also Vorsteher eines Klosters. Aber Wilhelm von Redings Gesundheitszustand liess das nicht zu. Er war Bluter – eigentlich ein Hindernis für ein Leben im Kloster. Seine Familie konnte jedoch ein ärztliches Attest vorweisen, das ihm die Eintrittsfähigkeit bescheinigte. So feierte der Adelsspross im Jahr 1661 seine Profess, das Ablegen des Ordensgelübdes. Aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme wurde von Reding aber nie auf ein Amt im Kloster eingeteilt.
Katholisches Geschichtsbuch aus Wettingen Wilhelm von Reding lebte danach bis zu seinem Tod 1701 vierzig Jahre lang als Mönch im Kloster Wettingen und widmete sich vor allem einer Tätigkeit: dem Schreiben, seiner grossen Leidenschaft. Dabei war er äusserst produktiv und verfasste neben dem Kalendarium noch etwa fünfzig andere Werke. Eines davon ist eine Schweizer Chronik aus dezidiert katholischer Sicht, um der reformierten Geschichtsschreibung etwas entgegenzusetzen. «Wilhelm von Reding erstellte aber kein eigenständiges Geschichtswerk, viel mehr kompilierte er, was er an anderer Stelle fand», sagt Gamper. «Seine Schriften waren nicht von grossem Wert und wurden nach seinem Tod wahrscheinlich aus Pietät weiter im Kloster aufbewahrt.» Was die Zeit überdauert Handelt es sich bei Wilhelm von Reding also um eine tragische Gestalt, von der Nachwelt unbeachtet? «Sein familiärer Hintergrund und die damit verbundenen Möglichkeiten haben verhindert, dass aus ihm eine tragische Gestalt wurde», meint Historiker Gamper. Beim Calendarium sei es gut möglich, dass von Reding es rein für den persönlichen Gebrauch anfertigte. Seine Chronik hingegen erreichte nie den Stellenwert, den der Verfasser sich wahrscheinlich erträumt hatte. Aber Wilhelm von Reding hat geschrieben – und das ist wohl der Grund, warum wir ihn heute noch fassen und einer einzigartigen Biografie nachgehen können. Weiterlesen:
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November 2025
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