Neue Klostergeschichte Wettingen
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Heiliger Georg aus Wettingen? Die Inszenierung und das Vergessen des Augustin Keller

23/5/2025

 
Augustin Keller war erst Klostergegner. Und dann Direktor des Lehrerseminars im ehemaligen Kloster Wettingen. Nach seinem Tod wollte sein Sohn ihn als Held positionieren. Eine neu wiederentdeckte Glasscheibe erzählt, wie Keller verehrt, politisch aufgeladen und schliesslich vergessen wurde.
von Noemi Heusler
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«Augustin Keller! Wer im Schweizerland kennt nicht seinen Namen, den die Einen mit hoher Verehrung nennen, während er den Anderen zur Stunde noch eine Erinnerung ist an böse vergangene Zeiten!»
So lautete die Einleitung des Artikels zum Ruhestand von Augustin Keller in den Aargauer Nachrichten am 5. Dezember 1881. Er liest sich wie ein Nachruf. 
Augustin Keller blieb nach seinem Tod 1883 eine polarisierende Figur. Während ihn radikal-liberale Kreise als Vorkämpfer gegen die Jesuiten ehrten, wurde er von katholisch-konservativer Seite als fanatischer Klostergegner verurteilt. Schliesslich war er 1841 massgeblich an der Aargauer Klosteraufhebung, die auch das Kloster Wettingen traf, beteiligt. Die Erinnerung an Augustin Keller Anfang des 20. Jahrhunderts schwankte zwischen Verherrlichung und scharfer Kritik.
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Augustin bezwingt das Böse
Der Kampf um das Andenken Augustin Kellers wurde auf vielen Ebenen ausgetragen – in öffentlichen Reden, in der Presse, durch Denkmäler und in biografischen Schriften. Auch im Privaten gab es Versuche, Kellers Vermächtnis lebendig zu halten. So etwa in Form eines Erinnerungsprojekts, das sein Sohn Arnold Keller initiierte: Eine Glasscheibe sollte den Vater ehren.
Die Scheibe wurde 1907 entworfen und 1910 vom Zürcher Glasmeister Jakob Georg Röttinger ausgeführt. Arnold Keller lobte den Künstler und hob die positive Resonanz auf die Scheibe hervor. 
​Im Zentrum zeigt das Bild Augustin Keller als heiligen Georg, der mit Lanze einen Drachen durchbohrt. Der Drache war ein gängiges Symbol für das Böse und die Jesuiten. Augustin Keller mochte diese Symbolik. Er verwendete sie gern in öffentlichen Reden, aber auch privaten Briefen. Auch Sohn Arnold Keller gefiel das Motiv. Er schrieb dazu: «Die Wahrheit besiegt die Lüge.»
Keller ist als radikal-liberaler, quasi-heiliger Held dargestellt. Die stark religiöse Symbolik wäre nur durch den in einer ersten Version noch vorhandenen Heiligenschein noch deutlicher geworden. Rechts neben Keller ist das Kloster Wettingen zu sehen, wo er von 1841 bis 1856 als Direktor des kantonalen Lehrerseminars tätig war und mit seiner Familie in den Räumen der Abtei lebte. Umgeben ist Keller von Wappen, die für die bedeutenden Positionen in Aarau, Aargau und der schweizerischen Eidgenossenschaft stehen und dem Familienwappen. Der Sonderbundskrieg ist in der oberen linken und rechten Ecke der Glasscheibe dargestellt.
Der Vater, der Held, der Heilige
Arnold Keller wollten seinen Vater mit der Scheibe als Familienoberhaupt ehren. Wettingen, der Wohnort der Familie, steht im Zentrum der Scheibe. Gleichzeitig ist Keller deutlich auch als politischer Held zu erkennen. Die Anspielungen auf politische Ämter, den Sonderbundskrieg und den Kampf gegen reaktionäre Kräfte dürften Kellers Rolle als Held der Radikal-Liberalen verdeutlicht haben. Die religiöse Bedeutungsebene ist überraschend. Durch Kellers Darstellung als heiliger Georg wird der Katholik Augustin Keller auch als religiöser Held abgebildet.
Die meisten Darstellungen auf der Glasscheibe stammen aus bereits existierenden Vorlagen. Die Szenen des Sonderbundskriegs sind adaptierte Holzschnitte von Jakob Ziegler, die den Sieg der liberalen Eidgenossen über den Sonderbund verherrlichen. Arnold Keller übernahm sie aus einem patriotischen Bildband von 1847.

Diese Übernahmen mögen praktischen oder ästhetischen Gründen geschuldet sein. Im Fall der Holzschnitte von Ziegler kann man sie als bewusste Anleihen verstehen, als Zitate aus einem kollektiven Bildgedächtnis, das Kellers Unterstützer wiedererkennen konnten. In dieser Wiedererkennbarkeit liegt die Kraft der Helden: Augustin Keller erscheint nicht als realistische Figur, sondern als idealisiertes Sinnbild, als religiöser Kämpfer, politischer Held, familiäres Vorbild. Die heldenhafte Darstellung überlagert die historische Persönlichkeit.
Eine Held ohne Anerkennung
Trotz der Inszenierung als Held ist Augustin Keller vielerorts in Vergessenheit geraten. Selbst in Wettingen, wo er lebte, und das Lehrerseminar aufbaute, erinnert heute im öffentlichen Raum nichts mehr an ihn.
Was bleibt, ist die Scheibe, die heute in der Sammlung von Museum Aargau aufbewahrt wird. Arnold Keller war es wichtig, das Andenken seines Vaters beständig zu gestalten und es öffentlich zu verbreiten. Die Wahl des Trägermaterials unterstreicht seinen Anspruch auf Dauer, wie er in seiner Dokumentation über die Erstellung der Glasscheibe festhält: «Warum eine Glasscheibe? […] Es (Glasgemälde) funkelt auch nach ungezählten Jahrhunderten noch in der statten Glut seiner Entstehungszeit […].» Er bestand auch auf eine Ausstellung der Scheibe: «Die Augustin Kellerscheibe soll nach dem Tode meiner beiden Kinder dem histor. Museum des Kantons Aargau in Aarau unter der Bedingung geschenkt werden, dass sie bleibend an passender Stelle dort ausgestellt wird. […].»
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Nach 1960 erstmals wieder aufgetaucht
Im Jahr 1960 wurde die Scheibe in der Kantonsbibliothek Aargau ausgestellt. Seither galt sie bei Forschenden als verschollen. Die Recherchen für diesen Beitrag zeigen, dass sie nach der Ausstellung 1960 in der Kantonsbibliothek Aargau lagerte, bis sie 1992 schliesslich dem Museum Aargau zurückgegeben wurde und im Sammlungszentrum des Museums endete. Die von Arnold Keller initiierte heldenhafte Darstellung seines Vaters hat also die Zeit überdauert. Doch anstatt an einem Fenster zu funkeln, wie es für die Darstellung eines Helden angemessen wäre, liegt sie unbemerkt in einem dunklen Lager. Ein Held entsteht im Licht der Öffentlichkeit. Die lange verschollene Glasscheibe von Augustin Keller ist ein Symbol für die Erinnerung an ihn, die auch in Wettingen weitestgehend verblasst ist.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kolloquiums ​«Geschichte in der Praxis: kommunizieren und vermitteln​» im Frühjahrssemester 2025 am Historischen Seminar der Universität Zürich. Autorin Noemi Heusler studiert im zweiten Semester Wirtschaftsgeschichte im Masterstudiengang. Sie hat bereits einen Master in Business Innovation der Universität St. Gallen und arbeitet neben dem Studium als Projektleiterin bei einer Bank.

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